Positionen zur aktuellen Gesundheits- und Sozialpolitik
Ganz gleich, ob es um laufende Gesetzgebungsverfahren, ihre Umsetzung oder Defizite in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen geht – der BApK bezieht Position.
Um es vorweg zu sagen: Es ist für einen ganz überwiegend ehrenamtlich tätigen Verein nicht immer leicht, im Konzert der starken gesundheitspolitischen Interessensvertreterinnen und -vertreter der Lobby für Familien mit psychisch erkrankten Angehörigen eine gewichtige und wahrnehmbare Stimme zu geben. Es erfordert – neben dem Expertentum aus eigener Erfahrung – in großem Maße Wissen und Zeit, Kraft und die Fähigkeit zur Arbeit in Netzwerken.
Deshalb sind aktive Mitstreitende stets sehr willkommen. Alle Interessierten haben hier die Möglichkeit, sich einen Eindruck über aktuelle Themen in der psychiatrischen Versorgung und die Meinungen des BApK zu verschaffen.
15.7.2024
Der BApK stimmt der Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe vom 4. Juli 2024 vollumfänglich zu und wendet sich gleichermaßen gegen die Abwertung von Menschen mit Behinderung und die Herabwürdigungen seitens der AfD.
Auf Anfrage der BAG Selbsthilfe hat sich der BApK in einer dezidierten Stellungnahme zum Thema ärztliche Zwangsmaßnahmen geäußert.
Unter anderem identifiziert er vor allem die ungenügende Versorgung für chronisch psychisch erkrankte Menschen als Ursache der bestehenden Missstände.
„Aus Expertensicht wie aus der Perspektive der Angehörigen sind es vor allem strukturelle Mängel in der Versorgung für chronisch psychisch erkrankte Menschen, die ein Scheitern an den weitgehend durch sachfremde Erwägungen bestehenden Schnittstellen des Systems begünstigen. (…) Dazu gehört die institutionelle Trennung bzw. Unvereinbarkeit von Behandlung und Rehabilitation, von Psychiatrie und Psychotherapie sowie die sektorielle Aufteilung in stationäre und ambulante Versorgung, die aus Sicht der Betroffenen nur destruktive, einer Genesung hinderliche Auswirkungen hat, und an der trotz Änderungen des Gesetzgebers in den vergangenen Jahren die Leistungserbringer im Gesundheitswesen und Eingliederungshilfe immer noch überwiegend festhalten.“
Bonn, 15.02.2024
Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen mit seinen Landesverbänden steht für eine demokratische, offene, vielfältige Gesellschaft, in der alle Menschen gleichwürdig teilhaben und Schutz erfahren – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter, Religion oder Weltanschauung, sexueller Identität, materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit. Unser Verband wird getragen von der Idee der Gleichwertigkeit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten. Wir sehen uns verpflichtet, allen Ideologien der Ungleichwertigkeit entschieden entgegenzutreten.
Stellungnahme des BApK zu den Empfehlungen der Regierungskommission des BMG vom 29. September 2023
Der BApK begrüßt die Stellungnahme und die Empfehlungen der Regierungskommission vom 29.09.2023 weitestgehend.
Die Regierungskommission unterstreicht in ihrer Stellungnahme noch einmal die Bedeutung des Faches Psychiatrie als drittgrößtes im gesamten Krankenhausversorgungssystem in Deutschland. Sie verweist darüber hinaus auf die hohe gesamtgesellschaftliche Krankheitslast durch die psychischen Erkrankungen. Bedauerlicherweise finden die ca. 10.000 Krankenhausbetten in der Forensik, die aus Sicht des BApK unbedingt mit berücksichtigt werden müssen und eine steigende Tendenz aufweisen, keine Erwähnung.
In ihren Empfehlungen befürwortet die Kommission, beginnend bei den Level In-Krankenhäusern, eine parallele Struktur zu dem somatischen System. Mit dem Ausschluss der Level Ii-Krankenhäuser erschwert sie allerdings quartiersnahe Lösungsansätze bei weniger kritischen psychischen Störungen, in denen z. B. Genesungsbegleiter aktiv tätig werden könnten. Ferner können auch bei Level Ii-Krankenhäusern Synergien zwischen der Psychiatrie und anderen Fächern gefunden werden, wie sie die Empfehlungen für die Level II und III vorsehen. Anstelle eines verstärkten Aufbaus bzw. einer Förderung der niedergelassenen kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung, empfiehlt die Kommission eine Ausweitung der Versorgung durch Institutsambulanzen. Ob dieser eher zentralistische Ansatz zu den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen passt, wird vom BApK bezweifelt. Begrüßenswert ist hingegen der deutliche Hinweis der Kommission auf die Empfehlungen der Psychiatrie Enquetekommission von 1975 zur Verlagerung der Behandlungsplätze hin zu den Allgemeinkrankenhäusern und weg von den psychiatrischen Fachkliniken.
In den Empfehlungen zu den Leistungsgruppen folgt die Kommission stringent ihren Vorschlägen, die sie zu den Krankenhaus Leveln ausgesprochen hat und fordert zu Recht, die Vergabe der somatischen Leistungsgruppen an die psychiatrische Versorgung zu koppeln. Auch lehnt sie die Einführung von Leistungsgruppen nach Settings ab. Dieser Sicht folgt der BApK.
Bei dem Thema Strukturqualität verweist die Kommission zurecht darauf, dass die PPP-RL Mindestvorgaben enthalte und nicht als Instrument für Budgetverhandlungen zu verwenden sei. Sie spricht sich ferner dafür aus, die vorgesehenen Pönalien für 2024/5 nicht in Anwendung zu bringen. Nicht nur die jahrelange, knappe Finanzierung durch die GKV bei der personellen Ausstattung für einen Teil der Kliniken, sondern auch das jahrelange Einsparen bei anderen Kliniken - insbesondere bei den psychiatrischen Pflegemitarbeitern - führen nun, in Zeiten eines sich verengenden Personalmarktes, zu strukturellen Qualitätsstandards, die in vielerlei Hinsicht den Anforderungen an eine moderne, zukunftsorientierte und menschliche Psychiatrie, die den gesellschaftlichen Wandel im Blick behält, entgegenstehen. Diese zeitnah zu realisieren muss, nach Ansicht des BApK und der von ihm vertretenen Angehörigen, unbedingt das Ziel sein. Dennoch trägt der BApK die Entscheidung hinsichtlich der Aussetzung der Pönalien mit, da er anerkennt, dass sich nicht alle Fehlentwicklungen kurzfristig korrigieren lassen. Zumindest aber sollten die Budgets der Kliniken in Zukunft so ausreichend dimensioniert sein, dass diese die Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen vorantreiben können und es keinen Grund mehr gibt, angemessene Sanktionen nicht zu verhängen.
Die Kommission möchte bei den tagesstationären und settingübergreifenden Behandlungen das Konzept des Regionalbudgets stärken und sie zu einem maßgeblichen Teil der Regelversorgung machen. Dieser Weg sollte aus Sicht der BApK konsequent und zügig beschritten werden. Ob die Stärkung der Institutsambulanzen nach dem bayrischen Weg tatsächlich zu einer stärkeren Einbindung des KV-Bereichs führt, bleibt für den BApK unklar, sind doch die niedergelassenen Leistungserbringer im KV-System neben dem öffentlichen Gesundheitsdienst eine entscheidende Ressource in der kommunalen Versorgung.
Bonn, 10. Oktober 2023
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum § 217 StGB im Jahr 2020 sehen
wir es als Aufgabe des Gesetzgebers an, vor allem ein Schutzkonzept für Menschen mit
Suizidgedanken zu entwickeln und für die Umsetzung durch ein Suizidpräventionsgesetz noch
in dieser Legislaturperiode zu sorgen. Der assistierte Suizid passiert – in Deutschland – aktuell
unreguliert und unkontrolliert. Hier muss der Staat dafür sorgen, dass Menschen in suizidalen
Krisen geschützt werden...
Bonn, Mittwoch, 17. August 2023
Stellungnahme des BApK zu den Überlegungen der Unionsfraktion zum Thema pflegende Angehörige
In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat sich der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge finanziell für einen staatlichen Lohnersatz analog zum Elterngeld ausgesprochen. Hintergrund seines Vorschlags ist ein Positionspapier aus der Unionsfraktion. Darin werden für pflegende Angehörige auch Steuerfreibeträge sowie eine bessere Rentenversorgung gefordert. Bei dem Papier handelt es sich nach Angaben aus der Fraktion allerdings um einen noch nicht abgestimmten Entwurf. Der BApK begrüßt diese Überlegungen, sind doch alleine in der Versorgung schwer psychisch erkrankter Menschen rund 300.000 Angehörige in der ambulanten psychiatrischen Pflege tätig.
„Es wird derzeit gesellschaftlich als selbstverständlich erachtet, dass sich Angehörige um die Belange und Interessen der Betroffenen zu kümmern haben und dabei auch beruflich zurückstecken müssen. Die dadurch entstehenden Einkommenseinbußen belasten - neben der Versorgung der Betroffenen - die Angehörigen im Hier und Jetzt sowie durch niedrigere Rentenzahlungen auch in der Zukunft“, so Dr. Rüdiger Hannig, Vorsitzender des BApK. Gleichzeitig drückt sich für ihn in dem gegenwärtigen Modell der darlehnsfinanzierten Überbrückung von beruflichen Ausfallzeiten eine geringe gesellschaftliche Wertschätzung der Sorgeleistung der Angehörigen aus. „Während überall ein festgeschriebener Mindestlohn gilt, sollen wir Angehörigen unsere Arbeit über einen rückzahlbaren Kredit selber finanzieren! Das ist weder gerecht noch auf lange Sicht für die meisten Angehörigen tragbar."
Der BApK nimmt Stellung zum Eckpunktepapier des Deutschen Vereins zur Wirkung und Wirksamkeit der Wiedereingliederungshilfe. In diesem wird empfohlen, die Angehörigen bei der Gesamtplanung zwischen Leistungsträgern und Leistungsberechtigten partizipativ einzubinden.
Der BApK erachtet es als unerlässlich, die Wirkung der Maßnahmen auch auf Angehörige zu messen, da sie oft die meiste Care-Arbeit übernehmen und aufgrund ihrer Nähe zu den Betroffenen Auswirkungen der Maßnahmen auch die Angehörigen betreffen.
Das Schreiben im Volltext - hier klicken.
Mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 erklärte das BVerfG den § 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) für verfassungswidrig und damit für ungültig.
Gemeinsam mit zehn weiteren Verbänden der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung sowie der Selbsthilfe erstellte der BApK ein Positionspapier dazu.
Für die Forschung in den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung sind zentrale, nachhaltige Infrastrukturen zur prospektiven, längsschnittlichen Untersuchung zentraler Gesundheitsfragen dringend erforderlich, um so von korrelativen zu kausalen Aussagen über den Erhalt von Gesundheit bzw. die Entwicklung von Krankheiten kommen zu können. Da die nationale Kohorte (NaKo) erst mit dem jungen Erwachsenenalter beginnt, sind die Entwicklungsperspektiven von Kindern und Jugendlichen komplett ausgeklammert worden. Zentrale Krankheitsbilder, die mit erheblichen Teilhabebeeinträchtigungen und Gesundheitsfolgekosten verbunden sind, entwickeln sich oftmals bereits in Kindheit und Jugend. So manifestieren sich ¾ der schweren psychischen Erkrankungen zuerst im Kindes- und Jugendalter. Ein Verständnis der Risiken und protektiven Faktoren ist daher für die Prävention und Intervention bezogen auf die nachhaltigen Entwicklungsziele SDG 3 ( Gesundheit und Wohlergehen) und das partizipative Entwicklungsziel SDG 16.2 (gewaltfrei aufwachsen) unerlässlich.
Das Bundesforschungsministerium und die Länder fördern zwei neue Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung, das Deutsche Zentrum für psychische Gesundheit (DZPG) und das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ).
Für übergreifende Fragestellungen aus beiden Zentren - wie auch mit den anderen Deutschen Zentren - bildet eine Kinder- und Jugendgesundheitskohorte unter Berücksichtigung der relevanten Bezugspersonen das zentrale Scharnier für die kollaborative Gesundheitsforschung zum Wohle von Kindern und Jugendlichen. Andere Staaten haben uns gezeigt, dass eine solche Kohorte auch für nicht direkt vorhersehbare Gesundheitsbelastungen wie die Corona-Pandemie oder Naturkatastrophen eine unabdingbare Voraussetzung zur Untersuchung der Folgen auf Entwicklungsverläufe ist.
In einem Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode sollte deshalb festgehalten werden:
Wir werden eine deutsche Kinder- und Jugendgesundheitskohorte aufbauen, um längsschnittlich Schutzfaktoren, Risiken, Präventions- und Frühinterventionsmöglichkeiten und chronische Krankheitsverläufe in der Gesundheitsforschung zu untersuchen. Insbesondere für die beiden neu entstehenden Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung DZPG und DZKJ ist eine solche Kohorte das zentrale Scharnier, welches die Erforschung der physischen und psychischen Gesundheit im Kindes- und Jugendalter und die Lebensspannenperspektive vereint.
Bonn, 5.11.2021
Bundesministerium für Gesundheit
Frau Dr. Sonja Optendrenk
Leiterin der Abteilung 2
Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung
sonja.optendrenk@bmg.bund.de
Betreff: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Erstfassung der Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSVPsych-RL) vom 2. September 2021
Sehr geehrte Frau Dr. Optendrenk,
wir begrüßen es sehr, dass mit der o. g. Richtlinie die Grundlage für eine dringend notwendige Verbesserung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung für schwer psychisch erkrankte Menschen geschaffen wurde. Aus Sicht der Angehörigen gibt es jedoch eine Reihe von Punkten, die uns Sorgen bereiten.
Wie auch in der Anhörung von niemanden bezweifelt worden ist, trifft eine psychische Erkrankung nie nur die betroffene Person alleine, sondern immer auch ihr soziales Umfeld mit. Eine erhebliche Anzahl der betroffenen Menschen lebt in der Familie oder bei sonstigen Zugehörigen. Es sind gerade diese Menschen, welche sich um Betroffene kümmern, sie betreuen und versorgen. Sie sind damit ein ganz wesentlicher, tragender Baustein in der Versorgung. Die betroffene Person verbringt gerade nicht den Hauptteil ihrer Zeit in der Klinik, bei den Ärzten oder in irgendwelchen Einrichtungen, sondern in einer häuslichen Umgebung. Eine ernstgemeinte, koordinierte und strukturierte Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen ohne die verpflichtende Einbeziehung der Angehörigen bzw. der relevanten Zugehörigen ist daher schwer möglich, vielfach zum Scheitern verurteilt und damit unethisch.
Leider kommen in dem o. g. Richtlinienentwurf Angehörige als handelnde Menschen nicht vor. Die Ausführungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf „Patienten und Patientinnen“, siehe z.B. § 6 (2) oder § 7. Beispielhaft seien weitere Stellen aufgezeigt.
So steht im § 10 Absatz 4 „... mit Einverständnis der Patientin oder des Patienten das Aufsuchen der Patientin oder des Patienten in ihrem oder seinem häuslichen Umfeld, sofern erforderlich“. Die im gleichen häuslichen Umfeld lebenden Angehörigen werden weder erwähnt noch um Zustimmung gefragt. Deren Einverständnis muss aber zwingend für ein Aufsuchen im häuslichen Umfeld mit eingeholt werden, denn auch für Angehörige gilt das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung.
Ferner werden in § 10 Absatz 5 zwar das Lebensumfeld und relevante Bezugspersonen erwähnt: „Das Führen von Gesprächen im Lebensumfeld der Patientin oder des Patienten sowie die Einbeziehung von relevanten Bezugspersonen, sofern erforderlich“, wobei die Formulierung „sofern erforderlich“ aus Angehörigensicht eine inakzeptable Einschränkung bedeutet. Das Einbeziehen (sofern vorhanden) relevanter Bezugspersonen, das Einverständnis der erkrankten Person selbstverständlich vorausgesetzt, ist grundsätzlich und in jedem Falle absolut notwendig. Die Einschränkung „sofern erforderlich“ widerspricht jedwedem modernen Verständnis von Behandlung und Begleitung in einer sozialen Psychiatrie, für die das Einbeziehen der nächsten Bezugspersonen eine Selbstverständlichkeit und keine „nur, wenn unbedingt notwendig“-Option ist. Es ist längst keine Frage mehr, die Zusammenarbeit im Trialog mit Angehörigen, Betroffenen und ihren professionellen Behandlern und Begleitern ist ein wesentlicher Baustein, der zur Genesung von Patientinnen und Patienten beiträgt. So heißt es beispielsweise in der S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen: "Im Rahmen der Informations-vermittlung, aber auch für die Beziehungsgestaltung im gesamten Hilfesystem ist die trialogische Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen und professionell Tätigen besonders wichtig“.
Wir Angehörigen sehen uns daher in keiner Weise ausreichend in das vorgeschlagene Versorgungs-konzept einbezogen und unsere Bedürfnisse und legitimen Rechte ignoriert. Angehörige als wichtige Ressource bei der Versorgung müssen anerkannter Teil einer koordinierten und strukturierten Versorgung sein. Sie sind daher von Anfang an in die Planung der Behandlung und Begleitung regelhaft mit einzubeziehen! Wir möchten daher insbesondere das BMG bitten, den G-BA zu entsprechenden Nachbesserungen aufzufordern. Andernfalls verfehlt diese Richtlinie in der jetzigen Form das angestrebte Ziel und den Zweck, den Zustand schwer psychisch kranker Menschen zu verbessern. Für eine Überarbeitung dieses Richtlinienvorschlags und entsprechende Gespräche stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
Stellv. Vorsitzender
Karl Heinz Möhrmann
Vorstand
August 2022
Der BApK begrüßt die Initiative der CDU/CSU Bundestagsfraktion, den Maßregelvollzug nach § 64 StGB mit einem Gesetzesentwurf neu fassen zu wollen. Der Maßregelvollzug sollte deutlicher medizinisch/therapeutisch profiliert werden. Die Zielgruppe sollte auf vorhandene Behandlungsbereitschaft und angestrebten Therapieerfolg hin bezogen sein. Zugleich sollten die Justizvollzugsanstalten (JVAs) Insassen mit Suchterkrankungen Behandlung und Therapie ermöglichen können.
Bereits seit geraumer Zeit fordert die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) aus psychiatrischer Sicht eine solche Neuregelung bei der Unterbringung von straffälligen Menschen mit Substanzkonsumstörung. Behandlungsbereitschaft und Selbstbestimmungsfähigkeit der Patienten im Maßregelvollzug haben nach unserem Verständnis einen gesundheitspolitischen Fokus. Ordnungsrechtliche Überlegungen können aus Sicht der Angehörigen nicht wirklich im Zentrum stehen. Der Maßregelvollzug gehört rechtssystematisch zur Medizin, Behandlung und Therapie stehen im Vordergrund (DGPPN 24.02.2021: Neuregelung des § 64 StGB aus psychiatrischer Sicht – Positionspapier einer Task-Force der DGPPN).
Aus der Sicht der Angehörigen entspricht dies einem modernen Verständnis einer sich als psychosozial verstehenden Psychiatrie. Die Zielgruppe im Maßregelvollzug nach § 64 StGB auf der Diagnose gemäß Internationaler statistischer Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) bzw. Diagnostischem und Statistischem Manual Psychischer Störungen (DSM) zu basieren, entspricht der überwiegend inklusiven Haltung in der Gesellschaft. Die Bewertung der Substanzmittelabhängigkeit bzw. der Substanzkonsumstörung sollte medizinischer Expertise überlassen sein. Der doch eher subjektiv einschlägige bzw. umgangssprachliche Begriff „Hang zu“ sollte aufgegeben werden.
Zugleich sollte man die Überschrift des § 64 StGB „Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ aufgeben und künftig von „Unterbringung zur Behandlung in einer forensischen Klinik für Abhängigkeitserkrankungen“ sprechen.
Der BApK unterstützt daher auch die Änderung in § 67 Abs. 5 StGB. Die Straferlassung sollte erst zum Zweidrittelzeitpunkt möglich sein. Dabei sollte die Unterbringung im Maßregelvollzug stets der Behandlung und Resozialisierung dienen und nicht der Strafabbüßung.
Die positive Motivation zur Behandlung der Suchterkrankung und eine präzise fachlich zu bestimmende Aussicht auf den Behandlungserfolg der Therapie sind dabei die Schlüsselindikatoren.
Der BApK unterstreicht dabei ausdrücklich die Notwendigkeit für Straftäter mit Substanzkonsum, die sich nicht für eine therapeutische Behandlung im Maßregelvollzug eignen, aber durchaus motiviert sind ihre Suchterkrankung zu überwinden, differenzierte Behandlungsangebote in den JVAs zu schaffen.
Angehörige von Straftätern mit Suchterkrankungen sollten dabei grundständig und systematisch in den Behandlungsprozess sowohl im Maßregelvollzug als auch in der JVA eingebunden werden.
Mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 erklärte das BVerfG den § 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) für verfassungswidrig und damit für ungültig.
Gemeinsam mit zehn weiteren Verbänden der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung sowie der Selbsthilfe erstellte der BApK ein Positionspapier dazu.
Der Koalitionsvertrag der Ampel erweckt hohe Erwartungen.
Erweiterung der Notfall- und Krisenversorgung, Verbesserung der Versorgung schwer psychisch erkrankter Menschen, bedarfsgerechter Ausbau psychotherapeutischer Angebote: Die neue Regierung hat sich große Ziele gesetzt! Sollten diese in den nächsten Jahren erfüllt werden, wäre das für Angehörige und Betroffene ein großer Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft!
Insbesondere der Ausbau der Notfall- und Krisenversorgung würde uns Angehörigen große Lasten von den Schultern nehmen. Wie wir es auch mit unserer Kampagne zur „Die 113 für die psychische Krise“ aufgezeigt haben, besteht die Notwendigkeit zu einem deutschlandweit einheitlichen, niedrigschwelligen Zugang zu einem Krisendienst rund um die Uhr.
Auch der bedarfsgerechte Ausbau der psychotherapeutischen Kapazitäten und die verbesserte psychotherapeutische Versorgung gerade auch von schwer psychisch kranken Menschen sind Forderungen, die Angehörige schon seit langem nachdrücklich formuliert haben. Dass diese in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden haben, weckt Hoffnung und gleichzeitig hohe Erwartungen. So könnten im ambulanten Bereich die Wartezeiten drastisch verringert und eine stärkere Wendung von der stationären hin zur ambulanten Behandlung eingeläutet werden. Das würde viel von dem Druck auf die Familien, Angehörigen und Freunde psychisch erkrankter Menschen verringern.
Die Entstigmatisierungskampagne im Hinblick auf psychische Erkrankungen befürworten wir ausdrücklich. Dabei muss jedoch auch auf das Stigma hingewiesen werden, unter dem viele Angehörige leiden. Wir würden es begrüßen, wenn die Konzeption nicht einer Werbeagentur alleine überlassen würde, sondern dass alle, um die es geht, frühzeitig eingebunden werden. Am Ende zählt das Ergebnis und nicht Hochglanzplakate und kurzweilige Videoclips.
Insgesamt legt die neue Regierung mit ihrem Koalitionsvertrag ein ehrgeiziges Papier zum Thema psychische Versorgung vor. Der Bundesverband der Angehörigen begrüßt die vorgestellten Maßnahmen in weiten Teilen. „An ihren Taten“, so der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Rüdiger Hannig, „werden wir die Ampel am Ende messen!“.
Für die Forschung in den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung sind zentrale, nachhaltige Infrastrukturen zur prospektiven, längsschnittlichen Untersuchung zentraler Gesundheitsfragen dringend erforderlich, um so von korrelativen zu kausalen Aussagen über den Erhalt von Gesundheit bzw. die Entwicklung von Krankheiten kommen zu können. Da die nationale Kohorte (NaKo) erst mit dem jungen Erwachsenenalter beginnt, sind die Entwicklungsperspektiven von Kindern und Jugendlichen komplett ausgeklammert worden. Zentrale Krankheitsbilder, die mit erheblichen Teilhabebeeinträchtigungen und Gesundheitsfolgekosten verbunden sind, entwickeln sich oftmals bereits in Kindheit und Jugend. So manifestieren sich ¾ der schweren psychischen Erkrankungen zuerst im Kindes- und Jugendalter. Ein Verständnis der Risiken und protektiven Faktoren ist daher für die Prävention und Intervention bezogen auf die nachhaltigen Entwicklungsziele SDG 3 ( Gesundheit und Wohlergehen) und das partizipative Entwicklungsziel SDG 16.2 (gewaltfrei aufwachsen) unerlässlich.
Das Bundesforschungsministerium und die Länder fördern zwei neue Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung, das Deutsche Zentrum für psychische Gesundheit (DZPG) und das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ).
Für übergreifende Fragestellungen aus beiden Zentren - wie auch mit den anderen Deutschen Zentren - bildet eine Kinder- und Jugendgesundheitskohorte unter Berücksichtigung der relevanten Bezugspersonen das zentrale Scharnier für die kollaborative Gesundheitsforschung zum Wohle von Kindern und Jugendlichen. Andere Staaten haben uns gezeigt, dass eine solche Kohorte auch für nicht direkt vorhersehbare Gesundheitsbelastungen wie die Corona-Pandemie oder Naturkatastrophen eine unabdingbare Voraussetzung zur Untersuchung der Folgen auf Entwicklungsverläufe ist.
In einem Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode sollte deshalb festgehalten werden:
Wir werden eine deutsche Kinder- und Jugendgesundheitskohorte aufbauen, um längsschnittlich Schutzfaktoren, Risiken, Präventions- und Frühinterventionsmöglichkeiten und chronische Krankheitsverläufe in der Gesundheitsforschung zu untersuchen. Insbesondere für die beiden neu entstehenden Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung DZPG und DZKJ ist eine solche Kohorte das zentrale Scharnier, welches die Erforschung der physischen und psychischen Gesundheit im Kindes- und Jugendalter und die Lebensspannenperspektive vereint.
Bundesministerium für Gesundheit
Frau Dr. Sonja Optendrenk
Leiterin der Abteilung 2
Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung
sonja.optendrenk@bmg.bund.de
Betreff: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Erstfassung der Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSVPsych-RL) vom 2. September 2021
Sehr geehrte Frau Dr. Optendrenk,
wir begrüßen es sehr, dass mit der o. g. Richtlinie die Grundlage für eine dringend notwendige Verbesserung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung für schwer psychisch erkrankte Menschen geschaffen wurde. Aus Sicht der Angehörigen gibt es jedoch eine Reihe von Punkten, die uns Sorgen bereiten.
Wie auch in der Anhörung von niemanden bezweifelt worden ist, trifft eine psychische Erkrankung nie nur die betroffene Person alleine, sondern immer auch ihr soziales Umfeld mit. Eine erhebliche Anzahl der betroffenen Menschen lebt in der Familie oder bei sonstigen Zugehörigen. Es sind gerade diese Menschen, welche sich um Betroffene kümmern, sie betreuen und versorgen. Sie sind damit ein ganz wesentlicher, tragender Baustein in der Versorgung. Die betroffene Person verbringt gerade nicht den Hauptteil ihrer Zeit in der Klinik, bei den Ärzten oder in irgendwelchen Einrichtungen, sondern in einer häuslichen Umgebung. Eine ernstgemeinte, koordinierte und strukturierte Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen ohne die verpflichtende Einbeziehung der Angehörigen bzw. der relevanten Zugehörigen ist daher schwer möglich, vielfach zum Scheitern verurteilt und damit unethisch.
Leider kommen in dem o. g. Richtlinienentwurf Angehörige als handelnde Menschen nicht vor. Die Ausführungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf „Patienten und Patientinnen“, siehe z.B. § 6 (2) oder § 7. Beispielhaft seien weitere Stellen aufgezeigt.
So steht im § 10 Absatz 4 „... mit Einverständnis der Patientin oder des Patienten das Aufsuchen der Patientin oder des Patienten in ihrem oder seinem häuslichen Umfeld, sofern erforderlich“. Die im gleichen häuslichen Umfeld lebenden Angehörigen werden weder erwähnt noch um Zustimmung gefragt. Deren Einverständnis muss aber zwingend für ein Aufsuchen im häuslichen Umfeld mit eingeholt werden, denn auch für Angehörige gilt das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung.
Ferner werden in § 10 Absatz 5 zwar das Lebensumfeld und relevante Bezugspersonen erwähnt: „Das Führen von Gesprächen im Lebensumfeld der Patientin oder des Patienten sowie die Einbeziehung von relevanten Bezugspersonen, sofern erforderlich“, wobei die Formulierung „sofern erforderlich“ aus Angehörigensicht eine inakzeptable Einschränkung bedeutet. Das Einbeziehen (sofern vorhanden) relevanter Bezugspersonen, das Einverständnis der erkrankten Person selbstverständlich vorausgesetzt, ist grundsätzlich und in jedem Falle absolut notwendig. Die Einschränkung „sofern erforderlich“ widerspricht jedwedem modernen Verständnis von Behandlung und Begleitung in einer sozialen Psychiatrie, für die das Einbeziehen der nächsten Bezugspersonen eine Selbstverständlichkeit und keine „nur, wenn unbedingt notwendig“-Option ist. Es ist längst keine Frage mehr, die Zusammenarbeit im Trialog mit Angehörigen, Betroffenen und ihren professionellen Behandlern und Begleitern ist ein wesentlicher Baustein, der zur Genesung von Patientinnen und Patienten beiträgt. So heißt es beispielsweise in der S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen: "Im Rahmen der Informations-vermittlung, aber auch für die Beziehungsgestaltung im gesamten Hilfesystem ist die trialogische Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen und professionell Tätigen besonders wichtig“.
Wir Angehörigen sehen uns daher in keiner Weise ausreichend in das vorgeschlagene Versorgungs-konzept einbezogen und unsere Bedürfnisse und legitimen Rechte ignoriert. Angehörige als wichtige Ressource bei der Versorgung müssen anerkannter Teil einer koordinierten und strukturierten Versorgung sein. Sie sind daher von Anfang an in die Planung der Behandlung und Begleitung regelhaft mit einzubeziehen! Wir möchten daher insbesondere das BMG bitten, den G-BA zu entsprechenden Nachbesserungen aufzufordern. Andernfalls verfehlt diese Richtlinie in der jetzigen Form das angestrebte Ziel und den Zweck, den Zustand schwer psychisch kranker Menschen zu verbessern. Für eine Überarbeitung dieses Richtlinienvorschlags und entsprechende Gespräche stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
Stellv. Vorsitzender
Karl Heinz Möhrmann
Vorstand
Im Juni 2021
In einem vor einigen Tagen u. a. über den Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch Kranker (APK Bayern) bekannt gewordenen Diskussionspapier von Herrn Professor Bäuml, München, hat bei manchen Lesern den Eindruck erweckt, die Angehörigen hätten ein Interesse an einer Ausweitung von Zwangsmaßnahmen bei „behandlungsunwilligen“ psychisch erkrankten Menschen. Das ist falsch.
Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) tritt zusammen mit seinen Mitgliedsverbänden vielmehr seit seiner Gründung vor mehr als 35 Jahren für eine Humanisierung der psychiatrischen Versorgung und den Abbau von Freiheitsbeschränkungen und Zwangsmaßnahmen ein.
In dem Diskussionspapier werden sehr eindrücklich die extremen Belastungen und Leiden der Angehörigen und deren Verlust an einem eigenständigen Leben geschildert. Das Diskussionspapier beschränkt sich dabei auf die Gruppe der Angehörigen, deren schwer chronisch psychisch erkrankte Familienmitglieder die Unterstützung häufig ablehnen. Der Vorstand des BApK sieht darin ein schwieriges und quälendes Thema, das erneut in den Fokus gerückt wurde, für das es gleichwohl keine einfachen Lösungen gibt und das uns Angehörige immer wieder beschäftigt!
Als Dachverband der Angehörigen sehen wir uns gegenüber den Menschen verpflichtet, die dringend und oft verzweifelt nach Möglichkeiten suchen, ihren erkrankten Kindern, Partner*innen, Eltern, Geschwistern oder Freund*innen zu helfen und zugleich ihr Leben zurückzugewinnen. Zahlreiche auch kritische Reaktionen auf das Diskussionspapier machen uns einmal mehr deutlich, dass es immer noch nicht gelungen ist, familiäre und psychiatrische Hilfestrukturen so zu gestalten, dass auch die besonders schwer erkrankten Menschen und ihre Familien gut versorgt sind.
Der BApK wird die konstruktive Energie nutzen, die in der aktuellen Diskussion zu verspüren ist, um das Thema „Versorgung der Familien von schwer chronisch psychisch erkrankten Menschen“ zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit in den nächsten 1-2 Jahre zu machen.
Der Vorstand des BApK legt großen Wert darauf, diese sensible Thematik trialogisch zu behandeln. Sowohl Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung als auch Profis und insbesondere Angehörige sind aufgerufen, sich an diesem Diskurs zu beteiligen. Nur gemeinsam können wir zu tragfähigen Lösungen kommen. Wir wollen nicht übereinander reden, sondern miteinander sprechen!
Rüdiger Hannig
für den Vorstand des BApK
Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVGMP) vom 15.11.2020
Bundesministerium für Gesundheit
Berlin
Bonn, 10. 12. 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) möchte gerne die Möglichkeit nutzen, sich zu dem Gesetzesentwurf zu äußern.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass nach vielen Jahren des Stillstandes die Abstimmprozesse rund um die Pflege und Versorgung digitalisiert werden sollen. Wer die aufwendigen Abstimmprozesse basierend auf Papier, Post, Fax und Telefonie in Pflegeeinrichtungen erlebt hat, kann diesem Ansatz nur zustimmen. Auch die umfängliche und frühzeitige Einbindung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationsverarbeitung (BSI) und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) kann nur unterstützt werden, handelt es sich insbesondere bei psychischen Erkrankungen um äußerst sensible Daten, deren gezielter Missbrauch Menschen in ihrem Ansehen schwer schädigen kann.
Im §336(5) Nr. 4 SGB V sehen Sie die Einbindung u. a. der Angehörigen in die Kommunikations- und damit Entscheidungswege via Email und Messenger vor, sobald eine Vorsorge- oder Betreuungsvollmacht der Krankenversicherung des Betroffenen vorgewiesen wird. Schwierigkeiten könnten entstehen, wenn die Krankenkassen an Abenden, Wochenenden oder Feiertagen geschlossen haben, wenn eine Ehegattenvertretung gemäß §1358 BGB-E vorliegt, wenn mehrere Angehörige sich vertreten, wenn Angehörige mit entsprechenden Vollmachten keinen technischen Zugang zu den Systemen haben oder wenn die Systeme massiv im Rahmen von Naturkatastrophen oder Konflikten gestört werden. Für all diese Situationen müssen alternative Verfahren ausgearbeitet und vorbereitet sein.
Der Gesetzesentwurf erscheint uns wie eine Werbung für die Soziotherapie, die prominent an verschiedenen Stellen des Gesetzes so §360(3) Nr. 4 SGB V und in der Begründung aufgeführt wird. Die Hoffnung besteht, dass sie somit häufiger Anwendung findet.
Im §75 1b Satz SGB V ermöglichen Sie Nutzung der technischen Ausstattung und telemedizinischen Leistungen der Krankenhäuser durch die Notdienstpraxen. Zum einen würden wir Angehörige uns solche psychiatrischen Notdienste wünschen, die derzeit von den Krankenhäusern als Notfallambulanz und in einigen Fällen von den Sozialpsychiatrischen Diensten als Krisendienste erbracht werden. Zum anderen darf die Frage erlaubt sein, wer der organisatorische und systemische Kristallisationspunkt im Gemeindepsychiatrischen Umfeld sein soll, sind doch auch PIA und StäB Leistungen, die aus dem klinischen Umfeld heraus erbracht werden.
In der Begründung zum §370a(2) SGB V zur Gebührenpflicht für die Nutzung des elektronischen Systems der KBV durch Dritte wird aufgeführt, dass Dritte auch Organisationen der Selbsthilfe sein können. Wir bitten hier ausdrücklich um eine Befreiung von einer solchen Gebührenpflicht.
Wer bei den digitalen Pflegeanwendungen einen großen Sprung nach vorne erwartet hat, der wird durch die §39a und §40a des SGB XI wieder auf den Boden des Möglichen zurückgeführt. Im §39a SGB XI wird der Anspruch auf eine pflegerische Unterstützungsleistung festgehalten, so dass hybride Ansätze möglich sind und die Angehörigen und Betroffenen im Bereich der psychiatrischen Pflege nicht nur auf rein virtuelle Lösungen zurückgreifen müssen. Warum diese Unterstützungsleistung auf 60 €/Monat in einem Gesetz wie dem SGB XI gedeckelt werden muss, erschließt sich uns hingegen nicht. Im §40a SGB XI wird noch einmal verdeutlicht, um welche Art von Anwendungen es sich handelt und dass die Infrastruktur vom Versicherten oder dessen Angehörigen gestellt werden muss. Gerade die psychisch erkrankten Menschen und deren Angehörige sind finanziell nicht auf Rosen gebettet. So besteht nun die Gefahr, die zu verlieren, die digitale, pflegerische Anwendungen am dringendsten benötigen. Zudem stellt sich die Frage, ob die netztechnische Abdeckung die Nutzung solcher pflegerischen Anwendungen überhaupt allen ermöglicht.
Eine maßgebliche Eigenart der Digitalisierung ist die Substitution anderer Verfahren. Besonders deutlich wird dieses in der Kalkulation der Haushaltsausgaben zu dem Gesetzesentwurf. Beispielhaft hierzu sei die Seite 68 erwähnt, die mit entfallenden Kosten für die Kassen bei den aufsuchenden Bereitschaftsdiensten und den Notfallambulanzen durch die Videosprechstunden (39106 20% * 20 € = 156.000.000 Mio. €) oder - gleichfalls auf Seite 68 - mit entfallenden Fahrtkosten für Versicherte (25% von 285 €/Monat) = 30 Mio. € rechnet. Insgesamt begrüßen wir den Entwurf in seinem jetzigen Zustand als mutigen Schritt in die Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
BApK e.V.
Geschäftsstelle
Fon: 0228-71002400
Fax: 0228-71002429
Mail: bapk@psychiatrie.de
An
Aktion Psychisch Kranke e. V.
z.H. Herrn Ulrich Krüger
Oppelner 130
53119 Bonn
23.11.2020
Stellungnahme zum vierten Dialog „Personenzentrierte Versorgung – Vernetzung und Kooperation“
Sehr geehrter Herr Krüger,
gerne nimmt der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) innerhalb des BMG-Projektes zum „Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen“ zum vierten Dialog „Personenzentrierte Versorgung – Vernetzung und Kooperation“ gegenüber der APK Stellung. Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. sieht folgenden Handlungsbedarf und folgende Optionen:
Zu: Prinzipien personenzentrierter Hilfe (individuell, integriert, zielorientiert, Lebenswelt bezogen)
Angehörige sind Teil der Lebenswelt der psychisch erkrankten Person. Sie können daher auch ein Teil der Hilfe für diese sein, ohne dass sie die Rolle des Co-Behandlers einnehmen. Hierfür müssen den Angehörigen, die sich freiwillig dazu bereit erklären, Hilfen angeboten werden: Hilfen, um diese außergewöhnliche Situation für sich selber zu bewältigen, und Hilfen, um selber den betroffenen Personen Hilfe anbieten und geben zu können.
Die Angehörigen sind auch offen für die Ansätze des Open Dialogs, wenn sie zuvor eingebunden waren.
Die Angehörigen unterstützen das Plattformmodell zur 360 Grad Erfassung der Bedarfe des Betroffenen über die Grenzen einzelner Fachgebiete oder Kammern hinaus. Dieses Modell wird im Innovationsfonds evaluiert und wir sagen dazu gerne unsere Mitarbeit zu.
Zu: Sektor-übergreifende Behandlung, integrierte Versorgung, Modelle nach § 64b, Projekte im Innovationsfonds, stationsäquivalente Behandlung
Die Angehörigen sind ein eigenständiger Sektor und von der Anzahl der involvierten Personen der größte Bereich an „psychiatrischen“ Pflegekräften. Sie müssen daher von Anfang an umfangreich beraten und in die Behandlung des Erkrankten mit eingebunden werden. Die Angehörigen sind nicht Handlanger irgendwelcher Profis, sondern ihr Engagement basiert auf Freiwilligkeit. So wie für die Betroffenen mit dem Tag der Einlieferung die Entlassung beginnt, so gilt das für auch für die Angehörigen.
Die Angehörigen begrüßen, dass StäB für den Krankenhausbereich ermöglicht wurde. Gleichwohl erachten wir es für sinnvoll, wenn ein solches Unterstützungsangebot auch aus dem ambulanten bzw. gemeinde-psychiatrischen System heraus ermöglicht wird.
Für die Angehörigen kann StäB nur dann funktionieren, wenn die nachfolgenden Rahmenbedingungen erfüllt sind:
- Freiwilligkeit der Angehörigen: Wir dürfen auch ablehnen, wenn Fremde in unserer geschützten Wohnung aktiv werden wollen.
- Das Risiko für die Angehörigen muss klar dargestellt werden und von dem Träger der StäB Maßnahme getragen werden (Aufklärung, Haftung).
- Zur Reduktion des Risikos gehört ein wirklich funktionierender Krisendienst des Trägers und/oder der Gemeindepsychiatrie, der sowohl die Angehörigen profund berät wie auch für den Betroffenen da ist. Es ist hierbei zu wünschen, dass der Zugang zum Krisendienst bundesweit einheitlich geregelt ist, um in Krisensituationen gleichartige und verlässliche Hilfe zu erhalten.
- Angehörige müssen rechtzeitig in die Planung einbezogen werden und Schulungs- und Trainingsmaßnahmen erhalten, bevor der Betroffene ins Wohnumfeld zurückkehrt. Hierfür können die Angehörigen Verdienstausfall erhalten.
- Der Zutritt zur Wohnung in einer Krise muss geklärt sein (Notöffnung oder Zweitschlüssel während StäB).
Zu: Versorgungsmanagement, Vernetzung der Hilfen, Versorgungsverpflichtung, Gemeindepsychiatrische Verbünde, Schnittstellen zu sonstigen Leistungsbereichen
Alle Anbieter von Hilfeleistung in einer Kommune, die staatliche Leistungen erhalten, müssen in einer kommunalen „Datenbank“ gelistet sein. Sie bekommen nur die Mittel, wenn sie die Daten pflegen (KOSOZ aus S.-H.). Die Ergebnisse sind im „Netz“ verfügbar und recherchierbar für Angehörige und Betroffene. Dieses ist um so wichtiger, als viele Menschen in Grenzregionen von Kreisen oder sogar Bundesländern wohnen.
Die Angehörigen sind offen für die Ideen eines FACT (Flexible Assertive Community Treatment) Teams für jeden Erkrankten, mit einer für ihn verantwortlichen Person (Personenzentrierung). Für solch ein Team können die Bedarfe nach dem Plattformmodell regelmäßig ermittelt und die Ressourcen aus den unterschiedlichen Bereichen digital koordiniert werden. Ideen und Umsetzungen dazu gibt es u. a. in den Niederlanden und Rheinland-Pfalz.
Da wesentliche Teile der Versorgung durch Angehörige erbracht werden, können sie Teil eines solchen FACT Teams werden (Freiwillig, Datenschutz und Zugriff auf die Instant Messaging Kommunikation), das solange besteht, wie ein Bedarf gegeben ist. Sollte eine erneute Krise wieder ausbrechen, kann auf die vorherige ePA (elektronische Patientenakte) zugegriffen werden und ein neues Team eingerichtet werden.
Die Gemeindepsychiatrischen Verbünde und die ambulanten Systeme sind das reguläre Umfeld der Versorgung. Nur in besonders schweren, krisenhaften Situationen, soll das klinische System genutzt werden. Ebenso sollte die stationäre Unterbringung schwer Erkrankten vorbehalten sein. Daher sollte das ambulante und das gemeindepsychiatrische System stationäre, halboffene, etc. Möglichkeiten anbieten. Mehrfach gehandicapte Personen sollten ihre Lebenswelt nur zeitweise verlassen müssen.
Zu: Patientenberatung, Peer-Einbeziehung
Die Angehörigen erwarten eine vollumfängliche Angehörigenberatung inkl. einer Psycho-Edukation bezogen auf den jeweiligen Fall. Darüber hinaus kann es notwendig sein, dass wir den Rat einer Ethikkommission in Anspruch nehmen können.
Angehörige unterstützen eine sinnvolle Peer-Einbeziehung. Peers sind dabei nicht automatisch Betroffene, sondern können auch Angehörige sein.
Die Angehörigen erwarten eine ausreichende institutionelle Förderung, um ihre mittlerweile vielfältigen Beratungs- und Unterstützungsleistungen erbringen zu können. Insbesondere die Angehörigenarbeit im Ehrenamt, die von Ihnen über Urlaub, Gleitzeit, unbezahlte Arbeitszeit, u. a. finanziert wird, ist nur begrenzt leistbar. Zu: Einbeziehung von Angehörigen und Bezugspersonen
Der Angehörigenbegriff umfasst auch die Bezugspersonen des Betroffenen, soweit eine emotionale Bindung unterstellt werden kann.
Die Angehörigen sind ein wesentlicher Teil der Lebenswelt, in welcher der Betroffene lebt. Nur wenn diese „gesund“ ist, kann sie dem Betroffenen helfen. Daher müssen sie, wie zuvor schon geschildert, angemessen und frühzeitig mit eingebunden und unterstützt werden.
Wir hoffen, den vierten Dialog mit unserer Stellungnahme befruchtet zu haben und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
Stellv. Vorsitzender BApK e.V.
Gemeinsam mit dem Landesverband Hessen und dem Landesverband Hamburg haben der Dachverband Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie e. V. und verschiedene weitere Verbände sich für eine verbesserung des ambulanten Versorgungssystems ausgesprochen. U. a. müssen Behandlungsentscheidungen "fachgerecht und nicht aufgrund allgemeiner und nicht einzelfallorientierter Vorgaben gefällt werden."
13. August 2020
poststelle@bmjv.bund.de
z.H. Frau Normann-Scheerer und Herrn Schachtschneider
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
Sehr geehrte Frau Normann-Scheerer,
sehr geehrter Herr Schachtschneider,
der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen möchte sich sehr bedanken, dass ihm die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich zu dem Gesetzesentwurf zu äußern. Nach unser Einschätzung bemüht sich das vorliegende Dokument erkennbar, den Erfahrungen und Erkenntnissen der vergangenen Jahrzehnte weitgehend Rechnung zu tragen. Den Ausführungen ist insoweit nichts hinzuzufügen.
Gleichwohl möchten wir Zweifel anmelden, ob die vielen notwendigen Vorkehrungen zur Stärkung der Eigenständigkeit der Betreuten und die angestrebte Abkehr von stellvertretendem Handeln der Betreuer*innen zugunsten autonomiestärkendem Vorgehen bei gleichzeitiger Begleitung bzw. Überprüfung durch Verfahrensbetreuer oder Richter mehr als schöne Absicht ist.
Wir befürchten hingegen, solange die Justiz und Verwaltung nicht wesentlich besser personell und materiell als bisher ausgestattet wird, wird die angestrebte Reform des Reform- und Betreuungsrechts keinen spürbaren Fortschritt bringen.
Mit besten Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
BApK e.V.
Geschäftsstelle
Fon: 0228 - 71002400
Fax: 0228 - 71002429
Mail: bapk@psychiatrie.de
Internet : www.bapk.de
Aktion Psychisch Kranke e.V.
z.H. Herrn Ulrich Krüger
Oppelner Str. 130
53119 Bonn
13. 8. 2020
Stellungnahme zum Dritten Dialog „Zielgruppenspezifische Versorgungsfragen“
Sehr geehrter Herr Krüger,
gerne nimmt der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) im BMG Projekt „Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen“ zum Dritten Dialog „Zielgruppenspezifische Versorgungsfragen“ gegenüber dem APK Stellung. Der Bundesverband der Angehörigen Psychisch erkrankter Menschen e. V. sieht folgenden Handlungsbedarf und folgende Optionen:
Zielgruppen
Aus Sicht des BApK sollte jeder Angehörige einen eigenständigen Behandlungsanspruch ab dem erstmaligen Auftreten einer psychischen Erkrankung erhalten. Die alleinige Behandlung des Betroffenen reicht bei einer Systemischen Erkrankung nicht aus, um eine nachhaltige Verbesserung der Situation des Betroffenem und seiner Angehörigen zu erzielen.
Für uns stehen dabei nachfolgende Versorgungsgruppen in einem besonderen Focus:
- Psychisch kranke Angehörige
Nicht selten sind Angehörige von psychisch erkrankten Menschen selber psychisch erkrankt. Nur eine koordinierte Behandlung beider Patienten verspricht eine dauerhafte Verbesserung. - Angehörige von erstmalig psychisch erkrankten Menschen
Die Erkenntnis, ein Angehöriger eines psychisch erkrankten Menschen zu sein, ist für viele Angehörige ein Schock. Eine frühzeitige Einbindung in die Behandlung, Psycho-Edukation, Psychotherapie und weitere Maßnahmen können dazu führen, dass der psychisch erkrankte Mensch in ein offenes und vorbereitetes Umfeld zurückkehrt und die Rückfallgefahr verringert wird. - Kinder und Geschwister von psychisch erkrankten Menschen
Kinder von psychisch erkrankten Eltern, aber auch Geschwister von psychisch Erkrankten (vergleichbar mit den Kindern, da viele Menschen in der Jugend erkranken) sind eine besonders vulnerable Gruppe von Angehörigen. Eine frühzeitige Unterstützung kann die Gefahr einer psychischen Erkrankung für diese Angehörigengruppe mindern helfen. - Alte Angehörige
Alte Angehörige insbesondere im Bereich der Demenzpflege müssen Unterstützung erfahren, damit sie abgeben können und sich ausruhen können. Eine Überbeanspruchung führt nur frühzeitig zu einem weiteren Krankheitsfall. - Angehörige von aggressiven und fremdgefährdenden psychisch erkrankten Menschen
Die Angehörigen müssen frühzeitig in ein langfristiges Behandlungskonzept mit einbezogen werden. Darüber hinaus muss mit ihnen in Deeskalationsseminaren der Umgang mit Situationen trainiert werden, die sich in einer Eskalation befinden. Was für Pflegekräfte selbstverständlich ist, sollte hier auch für Angehörige gelten. - Angehörige von selbstgefährdenden psychisch erkrankten Menschen
Die Angehörigen leben in ständiger Angst vor dem Suizid und machen sich häufig schwerste Vorwürfe nach dem Eintreten desselbigen. Diese Menschen sollten frühzeitig unterstützt werden, um mit der Last bzw. dem permanenten Stress umgehen zu können. - Partner von psychisch erkrankten Menschen
Ein Ziel einer Therapie sollte nicht die Auflösung, sondern der Erhalt einer Partnerschaft sein. Entsprechend sollte eine systemische Therapie für beide angelegt sein.
Besondere Behandlungsanforderungen und übergreifende Fragestellung
Als Angehörigenverband ist der BApK frei von institutionellen Zwängen der Rücksichtnahme. So sehen wir bezüglich der besonderen Behandlungsanforderungen und der übergreifenden Fragestellung in dem Plattform Modell der DGPPN (Nervenarzt 2019-90:285-292) einen visionären Ansatz, hiermit umzugehen. Wurde das Modell zunächst entwickelt, um die individuellen Bedarfe psychisch erkrankter Menschen in stationären Einrichtungen zu ermitteln, so bietet es darüber hinaus weitere strukturelle Möglichkeiten.
Mit seinen drei Bedarfsbereichen Psychiatrisch/Somatisch/Sozial können die individuellen Bedarfe bei jeder Art der Erkrankung ermittelt werden. Eine schwere Herzkrankheit hat neben der somatischen Erkrankung massive Auswirkungen auf die Psyche und das soziale Umfeld. Eine schwere Corona Infektion mit einer künstlichen Beatmung führt häufig zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, langandauernden Spätfolgen und somit sozialen Problemen. Eine Depression weist häufig eine Komorbidität mit einer Herzerkrankung auf und kann schwerste soziale Verwerfungen nach sich ziehen. Das Plattform Modell scheint daher ein geeigneter Kandidat zu, die individuellen Bedarfe der Patienten bei unterschiedlichsten Erkrankungen und in unterschiedlichen Settings abzubilden.
Ließe man sich auf dieses Modell der Bedarfserhebung ein, so böte es weitere Ansatzpunkte. In dem Modell wird zwischen den Grundbedarfen und den erweiterten Bedarfen unterschieden, die eines besonderen Aufwandes bedürfen. So könnte es in jedem Kreis eine Einrichtung geben, die bei Erkrankungen jeglicher Art den Basisbedarf des Plattform Modells in allen drei Dimensionen abbildet. Solche Einrichtungen sind Teil der Lebenswelt der Bewohner und erfüllen einen Teil der Verpflichtung zur Daseinsvorsorge der Kommune. Die Kosten für ein solches Plattformzentrum könnten z. B. über einwohneräquivalente Pauschalen abgedeckt werden.
Ein Plattformzentrum kann darüber hinaus auch Mehrbedarfe anbieten. Dieses wird in städtischen Räumen auch stattfinden. Die Finanzierung der Mehrbedarfe sollte dann patientenindividuell nach den ermittelten erweiterten Bedarfen durch spezialisierte Anbieter erfolgen. Stationäre oder strukturierte Wohneinrichtungen sollten immer auf ein Plattformzentrum zugreifen können oder ein Teil von einem solchen sein.
Der in den Niederlanden entwickelte Flexible Assertive Community Treatment (FACT) Ansatz könnte gedanklich mit diesen Plattformzentren verknüpft werden. Je nach Hauptbedarf gibt es für den Betroffenen einen dauerhaften Hauptansprechpartner wie einen Hausarzt, einen Psychotherapeuten oder einen Sozialarbeiter, der der Kristallisationspunkt eines FACT Teams sein könnte. Verändern sich die Bedarfe des Patienten, so kann er zunächst auf ambulante Kräfte zugreifen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Plattformzentrum zu nutzen. Letzteres bietet auch die Möglichkeit einer stationären Unterbringung bzw. eines Schutzraumes.
Wir hoffen, den Dritten Dialog mit unserer Stellungnahme befruchtet zu haben und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Dr. Rüdiger Hannig
Stellv. Vorsitzender BApK e.V.
In einem gemeinsamen Brief wenden sich verschiedene Verbände der Selbsthilfe an das Robert-Koch-Institut, um zu dessen Empfehlungen mit dem Titel „Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Be-einträchtigungen“ kritisch Stellung zu beziehen:
Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrischer Verbünde e.V.
BAG GPV e.V.
Oppelner Straße 130
53119 Bonn
Telefon 0228 3907637
Telefax 0228 3907639 E-Mail: info@bag-gpv.de
info@bag-gpv.de
Internet: http://www.bag-gpv.de
An das
Robert-Koch-Institut
Herrn Prof. Dr. Wieler
Nordufer 20
13353 Berlin
27.04.2020
Empfehlungen mit dem Titel „ Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Be- einträchtigungen “ des RKI
Sehr geehrter Herr Professor Wieler,
das RKI hat Empfehlungen mit dem Titel „Prävention und Management von COVID-19 in Alten- und Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen“ herausgegeben. Zu diesen Empfehlungen möchten wir im Folgenden Stellung nehmen. Wir beziehen uns dabei auf die Version vom 17.04.2020.
Die unterzeichnenden Verbände sind in der Selbsthilfe sowie in der Betreuung, Pflege, Unterstützung und Begleitung von Menschen mit Behinderungen, insbe- sondere von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder seelischen Be- hinderungen aktiv. Sie erbringen vor allem auch Leistungen zur sozialen Teilhabe im Rahmen des neuen SGB IX. Vor dem Hintergrund unserer diesbezüglichen Expertise und Praxiserfahrung wenden wir uns an Sie und Ihr Institut.
Vorab sei angemerkt, dass wir die Zielsetzung Ihrer Empfehlungen, die richtiger Weise auch Menschen mit Beeinträchtigungen in den Blick nimmt, grundsätzlich begrüßen. Das Papier enthält viele sinnvolle und den meisten Einrichtungen ver- mutlich auch bereits bekannte Hinweise, insbesondere hinsichtlich hygienischer Maßnahmen. Allerdings zeigt sich in mehreren Passagen der Empfehlungen eine Grundauffassung des Lebens von Menschen in Einrichtungen, die der von uns wahrgenommenen Realität widerspricht. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Menschen mit seelischen Behinderungen (oder in der von Ihnen verwendeten Begrifflichkeit: Beeinträchtigungen). Erfreulicherweise - und von den unterzeichnenden Verbänden nachdrücklich unterstützt – hat sich der Umgang mit diesen Menschen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewandelt. Nicht zuletzt die UN-Behindertenrechtskonvention mit ihrer Betonung von Selbstbestimmtheit und dem Recht auf Teilhabe hat dazu wichtige Anstöße gegeben.
Gerade weil das RKI und seine Empfehlungen in Deutschland eine hohe Wert- schätzung genießen, sehen wir es mit Sorge, dass Sie in Ihren Ausführungen hin- ter diesen Entwicklungen zurückbleiben. Im Einzelnen möchten wir auf folgende Punkte hinweisen:
Situation in Einrichtungen / besonderen Wohnformen
Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat der Bundesgesetzgeber die Leistungen zur Sozialen Teilhabe so ausgestaltet, dass fachliche Leistungen und Leistungen der Unterkunft rechtlich und finanziell getrennt wurden. Seitdem haben die Be- wohner*innen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen (früher „Hei- me“ genannt) eigene Mietverträge für ihren je spezifischen Wohnraum. In der Regel handelt es sich dabei um ein eigenes Zimmer; Zweibettzimmer sind sehr selten geworden.
Das eigene Zimmer ist der persönliche Lebensmittelpunkt des betreffenden Men- schen. Dies gilt umso mehr, als viele Bewohner*innen lange oder sehr lange in der Einrichtung leben. Es gilt mittlerweile als guter Standard, dass der private Charakter des Zimmers von den Mitarbeitenden respektiert und geschützt wird.
Die Bewohner*innen auf einem Flur, einer Etage oder in einem bestimmten Bereich des Hauses bilden meist eine Wohngruppe. Sie teilen sich die dortigen Ge- meinschaftsräume und Sanitäranlagen. Viele Einrichtungen versuchen mit vielfältigen Mitteln, die Wohngruppen familiär zu gestalten und ihnen einen häuslichen Charakter zu geben. Das Bild der früheren „stationären Einrichtungen“ (heute: besondere Wohnformen) wandelt sich auch deshalb, weil sehr viele von ihnen nicht mehr als insgesamt ca. 30 Zimmer haben. Die Zahl großer Häuser mit 100 Zimmern oder mehr ist stark rückläufig.
Wir schildern Ihnen diese Situation, um zu verdeutlichen, dass viele der in Ihrem Empfehlungspapier genannten Strategien in diesen Wohn- und Lebensformen nicht möglich und auch rechtlich nicht durchführbar sind.
Nicht möglich ist z.B. die Bildung von „Kohorten“, wie sie in den Empfehlungen dargelegt werden. Zum einen stehen besonders in kleinen Einrichtungen die dafür erforderlichen räumlichen Kapazitäten gar nicht zur Verfügung. Vor allem aber ist zu bedenken, wie wichtig der persönliche Lebensraum als Rückzugs- und Schutzraum insbesondere für Menschen mit seelischen Behinderungen ist. Willkürliche „Verlegungen“ in andere Gruppen, Zimmer, Etagen etc. wären für diese Menschen mit erheblichen Belastungen, Beeinträchtigungen und anderen gesundheitlichen Folgen verbunden. Wir können uns viele Szenarien vorstellen, in denen Beeinträchtigungen infolge von Beunruhigung oder Ängsten so weit gehen könnten, dass sie auch Krankenhausaufenthalte nach sich ziehen würden - ein Umstand, den es gerade jetzt unbedingt zu vermeiden gilt.
Rechtlich nicht durchführbar sind solche Maßnahmen deshalb, weil sie gegen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Behinderungen verstoßen. Seit vor mehr als zehn Jahren die Bundesrepublik Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert hat, sind Einschränkun- gen wie die von Ihnen vorgeschlagenen nur auf der Grundlage von geltenden Gesetzen möglich. Geltendes Recht, wie etwa das Infektionsschutzgesetz, erlaubt es den Gesundheitsbehörden, Anordnungen zu treffen - nicht aber den Leitungen von Einrichtungen oder deren Mitarbeitenden, diese „durchzusetzen“. Einrich- tungsleitungen und Mitarbeitende haben weder das Recht, gegen den Willen der betroffenen Menschen eine Veränderung ihrer Lebensumstände herbeizuführen, noch haben sie das Recht, den Vollzug einer vom Gesundheitsamt getroffenen Maßnahme mit freiheitseinschränkender Wirkung durchzusetzen. Dies obliegt allein den zuständigen staatlichen Stellen.
Leistungserbringer und deren Leitungspersonen können auf die Menschen beratend und empfehlend einwirken. Das geschieht nach unserer Wahrnehmung seit Beginn der Pandemie auch sehr intensiv. Die Einrichtungen verfügen auch schon seit langem über die vom Infektionsschutzgesetz vorgeschriebenen Hygienepläne. Ebenso führen sie Gefährdungsanalysen durch. Diese mit Hilfe des RKI auf den aktuellen Stand zu bringen, wäre eine unterstützende Maßnahme. Darüber hinaus können Einrichtungen den Bewohner*innen z.B. anbieten, Fieber zu messen, aber dies nicht gegen deren Willen „durchsetzen“. Auch die Mitarbeitenden können lediglich dazu angehalten werden, sich regelmäßig selbst auf ihren Gesundheitszustand zu überprüfen und achtsam mit sich selbst umzugehen.
Situation der aufsuchend-ambulanten Hilfen
Neben den oben beschriebenen – früher „stationär“ genannten – besonderen Wohnformen gibt es in Deutschland vielfältige Lebensformen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Diese Menschen leben z.B. alleine oder in der eigenen Familie, in selbst gewählten Wohngemeinschaften oder in betreuten Wohngruppen mit wechselnder Zusammensetzung, die von Leistungserbringern des Gesundheitswesens vorgehalten werden.
In allen diesen Settings erhalten Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen bedarfsgerechte ambulante Unterstützungsangebote. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen ist die Zahl der aufsuchend- ambulant betreuten Personen etwa doppelt so hoch wie die Zahl der Bewohner*innen von besonderen Wohnformen. Allein das ambulant betreute Wohnen wurde im Jahr 2017 von rund 130.000 Menschen mit seelische Beeinträchtigung in Anspruch genommen.
Mit Blick auf diese ambulant-aufsuchenden Hilfen hat uns eine Aussage in Ihren Empfehlungen besonders bestürzt. In Abschnitt 2.2 (Seite 7) heißt es: „ In nicht-stationären Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen sollten keine Personen mit positivem Direktnachweis von SARS-CoV- 2 betreut werden. “ (Hervorhebung im Original).
Diese Aussage steht in direktem Widerspruch zur Leistungsverpflichtung der Einrichtungen und Dienste. Sie ist aber vor allem für die Betroffenen und ihre Angehörigen menschlich nicht zumutbar. Grundlegende Unterstützungsleistungen würden plötzlich entfallen oder vorrangig Angehörigen übertragen, soweit diese erreichbar wären (vgl. die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte: „Das Recht auf gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen in der Corona-Pandemie“, April 2020). Eine Zuspitzung von Problemen und zusätzliche Gefährdungen wären die absehbare Folge.
Es muss möglich sein, auch von SARS-CoV-2 betroffenen Menschen mit Beeinträchtigungen in aufsuchend-ambulanter Arbeit unterstützend, begleitend, ermutigend und stabilisierend zur Seite zu stehen. Die betroffenen Menschen müssen mit den notwendigen Gütern versorgt werden, aber auch sachliche Informationen und solidarische sozialtherapeutische Unterstützung erhalten. Auf der Grundlage einer bewährten, vertrauensvollen Beziehung können die Fachpersonen wesentlich dazu beitragen, dass sich die Betroffenen an die Auflagen der Gesundheitsämter halten und halten können.
Dazu ist es allerdings erforderlich, dass die Mitarbeitenden, die diese Aufgabe zu leisten haben, ausreichend geschützt und vorbereitet sind. Gerade bei den Schutzausrüstungen verzeichnen viele Leistungserbringer aus dem Bereich der Hilfen für Menschen mit Behinderungen jedoch große Defizite, da das vorhandene Material vorzugsweise an Krankenhäuser, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen und Gesundheitsämter geht. Hilfreich wäre es, die betreffenden Leistungserbringer praktisch und informationell zu unterstützen. Praktisch wäre vor allem eine Empfehlung wünschenswert, dass die Einrichtungen und Dienste für Menschen mit Behinderungen gleichrangig mit Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit Schutzmaterial zu versorgen sind. Informationell sind konkrete Fragen zu klären: Wie z.B. soll ein Mitarbeitender vorgehen, wenn es sich nicht vermeiden lässt, die Wohnung eines unter Quarantäneanordnung stehenden Menschen zu betreten, dort aber selbstverständlich nicht die hygienische Ausstattung eines Krankenhauses oder Pflegeheims zur Verfügung steht? Wir wünschen uns, dass das RKI solche Fragen adressiert und psychosoziale Hilfen ermöglicht, statt sie zu unterbinden.
Fazit
Sehr geehrter Herr Professor Wieler, Ihre Empfehlungen stellen eine wichtige Bezugsgröße für Verbände, Behörden und Landesbehörden dar. Deshalb halten wir eine Überarbeitung des Papiers unter Berücksichtigung der von uns genannten Aspekte für dringend geboten. Uns ist bewusst, dass das RKI keine Detailkenntnisse der verschiedenen Lebensformen von Menschen mit Beeinträchtigungen haben kann. Insofern wäre es unseres Erachtens ratsam, entsprechende fachliche Kompetenz hinzuzuziehen. Die unterzeichnenden Verbände stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.
Für die BAG GPV e.V.
Matthias Rosemann (Vorsitzender)
Diesen Brief haben folgende acht weiteren Verbände mitgezeichnet:
Arbeitswohlfahrt Bundesverband e.V.
Bundesnetzwerk Selbsthilfe Seelische Gesundheit (NetzG)
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.
Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe e.V
Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.
Diakonie Deutschland
Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Deutsches Rotes Kreuz
An die Abgeordneten
des Gesundheitsausschusses,
des Sozialausschusses
des Haushaltsausschusses des deutschen Bundestages
An die Psychiatriereferenten der Länder
Köln, den 28.3.2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir, einige bundesweit arbeitende Verbände des Bereiches Soziale Psychiatrie, organisiert im Kontaktgespräch Psychiatrie, wenden uns mit großer Sorge an Sie.
Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Leistungserbringer der ambulanten und stationären psychiatrischen Versorgung und lebensweltorientierter Begleitung psychisch erkrankter Menschen sind drastisch und betreffen hunderttausende von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Sie betreffen aber – neben den Kliniken, den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten – auch die gemeindepsychiatrischen Trägerorganisationen als Leistungserbringer von regionalen und lebensweltorientierten Hilfen.
Dies hat konkrete Auswirkungen auf die augenblickliche – und zukünftige – Versorgung und Behandlung. Eine Abschätzung der Folgen für die Träger und das gesamte Versorgungssystem für psychisch erkrankte Menschen ist zurzeit kaum möglich.
Aber wir stellen jetzt schon fest, dass Einrichtungen schließen müssen, Klienten sich zurückziehen und den Kontakt ablehnen. Leider werden flexible Lösungen in Bezug auf Behandlung und Betreuung von den Kostenträgern bundesweit sehr unterschiedlich gehandhabt. Das führt zu einer großen Verunsicherung der Leistungserbringer und destabilisiert die Lage der Betroffenen und ihrer Angehörigen in einem beunruhigenden Maße.
Sollten die von den Leistungserbringern befürchteten Leistungsausfälle und die entsprechenden wirtschaftlichen Auswirkungen im geschätzten Umfang von 50 % eintreten, erhielten circa die Hälfte der bislang betreuten und behandelten psychisch erkrankten Menschen in den nächsten Monaten keine fachliche ambulante Hilfe. Da Menschen mit psychischen Erkrankungen – und ihre Familien – komplexe Leistungsbedarfe haben, betrifft diese Entwicklung viele Leistungsbereiche aus den Sozialgesetzbüchern XII, XI, IX, VIII, V, III und II.
Für die gemeindepsychiatrischen, regional vernetzten Trägerorganisationen hätte das Eintreten einer solchen Prognose gravierende Folgen im Hinblick auf die Liquidität und würde sich fatal auf den Fortbestand vieler Einrichtungen und der bereitgestellten Angebote auswirken. Insolvenzen, vor allem kleinerer Träger, sind zu erwarten. Und damit besteht die mittelfristige Gefahr eines Wegfalls der ambulanten Betreuungs- und Behandlungsstruktur für schwer psychisch kranke und behinderte Menschen mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen.
Gemeinnützige Unternehmen im Bereich der Gemeindepsychiatrie können aus eigener Kraft diese Situation nicht abfangen.
Besonders gefährdet scheinen zur Zeit die Rehaeinrichtungen (Kostenträger Renten- und Krankenversicherungen) und alle krankenkassenfinanzierten Leistungen und Einrichtungen.
Die angekündigten Programme der Bundesregierung zur Soforthilfe für mittlere und kleine Unternehmen müssen darum auch den Anbietern der Gemeindepsychiatrie zeitnah und unbürokratisch zur Verfügung stehen. Außerdem müssen zusätzliche Formen der Unterstützung gefunden werden, da z. B. Angebote zu einer vereinfachten Kreditaufnahme für gemeinnützige Organisationen nur eingeschränkt sinnvoll sind, , da völlig offen ist, wie sie diese jemals zurückzahlen könnten.
Die Leistungserbringer für psychisch erkrankte Menschen, die regional vernetzt in den Kommunen arbeiten, benötigen zur Sicherstellung der Versorgung, Behandlung und Betreuung psychisch erkrankter Menschen zeitnah klare Aussagen von Fördermittelgebern, Gesundheitsämtern, Jugendämtern, kommunalen Gebietskörperschaften, des GKV-Spitzenverbandes, der Rentenversicherung Bund, der Arbeitsagenturen, Jobcenter und der Länder- und Bundesministerien.
Auch – und besonders – in einer Krise müssen die besonderen Bedürfnisse der Klienten und Bedarfe des Sozial- und Gesundheitssektors Berücksichtigung finden. Psychisch erkrankte Menschen sind eine Gruppe, die auch in Krisenzeiten, den Schutz und die Fürsorge der Gesellschaft benötigen. Dazu kommt, dass sie eine Hochrisikogruppe bilden, da sie krankheits- und häufig armutsbedingt nicht immer in der Lage sind, sich an Schutzmaßnahmen zu halten.
Ohne die Unterstützung der ambulanten lebensweltorientierten Strukturen droht kurzfristig in der stationären Psychiatrie eine Überbelegung mit vermeidbaren Krisen, die zu vielfältigen Problemen, z.B. zur Bindung von Personal führen kann, das die somatischen Häuser bei der Behandlung von COVID-19-Patient*innen unterstützen könnte. Mittel- bis langfristig ist die sektorenübergreifende Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen gefährdet und damit die inzwischen - nach der Psychiatrieenquete- in mehr als 40 Jahren aufgebauten ambulanten und regional vernetzten Angebote für psychisch erkrankte Menschen der sozialwirtschaftlichen und bürgerschaftlichen Träger, der Kliniken, der Psychotherapeuten und der Selbsthilfe.
Ohne finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder sind diese akut gefährdet.
Die Arbeit regional und vernetzt arbeitenden Träger mit ihrer psychosozialen Expertise und ihrer Verankerung in den Kommunen muss gesichert werden.
Nur so können sie ihre wichtige Rolle in der psychosozialen Krisenbewältigung und Krankheitsprävention wahrnehmen und zu einer dringend nötigen Stabilisierung der Situation beitragen.
Wir bitten Sie dringend um Ihre politische Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
Gez. Familienselbsthilfe Psychiatrie (BAPK) e.V.
Bayrischer Landesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V.
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.
Paritätischer Gesamtverband
Viele Menschen sind aufgrund der aktuellen Corona-Krise schweren Belastungen ausgesetzt. Dieses gilt auch und besonders für Familien mit einem psychisch erkrankten Angehörigen. Die Einschränkungen und das allgemeine Klima der Verunsicherung führen leicht zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Wenn darüber hinaus stabilisierende Routinen wegfallen, gewohnte Abläufe nicht mehr zustande kommen, müssen die Väter und Mütter, Geschwister, aber auch Lebenspartner*innen und Freunde große Anstrengungen unternehmen, um ihre Angehörigen aufzufangen.
Besonders schlimm ist die Situation, wenn der Aufenthalt in einer Klinik, einer Reha-Einrichtung, einer Tagesklinik, einer Werkstatt, einer ambulanten Einrichtung oder einer Wohngruppe abgebrochen werden muss, weil diese schließt oder die Plätze nicht mehr für alle Hilfebedürftigen ausreichen. Auch das inzwischen erlassene Besuchsverbot in den Einrichtungen und Kliniken führt zu erheblichen Zusatzbelastungen sowohl für die betroffenen Menschen als auch für deren Angehörige.
Der BApK fordert daher die Politik auf, sich die besondere Situation psychisch erkrankter Menschen und die Belastungen ihrer Angehörigen vor Augen zu führen. Bei der Abwägung weiterer Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie soll nach Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen, Öffnungsklauseln oder andere vergleichbare Lösungen gesucht und den Betroffenen, ihren Familien und ihrem Freundeskreis zügig und unbürokratisch Hilfen zur Unterstützung angeboten werden. In diesem Sinne wirkt der BApK im Kontaktgespräch Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft Psychiatrie und beim Dachverband Gemeindepsychiatrie aktiv mit.
Gemeinsamer Bundesausschuss
Postfach 12 06 06
10596 Berlin
Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Personalausstattungs-Richtlinie Psychiatrie und Psychosomatik vom 08.05.2019
Allgemeines:
Der BApK begrüßt die Anerkennung des PsychVVG als Grundlage für eine auskömmliche Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik.
Jedoch ist auch deutlich, dass die derzeitige Personalausstattung nicht ausreichend ist. Der BApK bedauert, dass die Ergebnisse der sogenannten „PPP-Studie“ nicht verfügbar sein sollen und bittet den G-BA, schnellstens dafür zu sorgen, dass diese Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Wiederholt hat der BApK gefordert, dass eine rasche und lückenlose Bestandsaufnahme der Situa-tion in psychiatrischen Kliniken erfolgen muss. Immer wieder auftauchende erschütternde Beispiele wie die Wallraff-Sendung vom 18.03.2019 sprechen dafür, dass immer noch Missstände herrschen, für die eine zu geringe Personalausstattung aus unserer Sicht wesentlich mitverantwortlich ist.
Wir begrüßen ausdrücklich eine externe Kontrolle der Personalausstattung. Personalstellen für psychisch kranke Menschen dürfen nicht zur Quersubventionierung oder zur Profitmaximierung „abgezweigt“ werden.
Die nahezu 30 Jahre alten Psych-PV-Werte zur Minimalausstattung zu erklären und davon auszugehen, dass eine – auch erst in mehreren Jahren zu erreichende – Erfüllung dieser Vorgabe für die Versorgung ausreichen könnte, ist in hohem Masse irreführend. Über eine zusätzliche Regelung, die wir dem Entwurf über die zu allgemeinen Formulierungen des § 2 hinaus nicht entnehmen können, ist sicherzustellen, dass die Regelausstattung der psychiatrischen Stationen mit Personal deutlich höher sichergestellt werden muss als die hier vorgelegten Mindestvorgaben. Dazu gehört auch ein verbindlich festzulegender Aufschlag für die diversen Ausfallzeiten über krankheitsbedingte Ausfallzeiten hinaus.
Des Weiteren erwarten wir vom G-BA in einem weiteren Prozess die Entwicklung eines neuen Per-sonalbemessungsinstruments, das seinen Namen verdient.
Im Besonderen:
Aus Sicht der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen ist unbedingt sicherzustellen, dass
- die Besetzung mit ärztlichem, pflegerischem und therapeutischem Personal ausreichend ist, um den Angehörigen auch abends und an Wochenenden hinreichende Auskünfte geben und sie beraten zu können. Die jetzt von uns angetroffene Situation in Kliniken ist diesbezüglich äußerst unbefriedigend. Schon lange ist nachgewiesen (Hoffmann und Rieger 2010), dass bei Personalknappheit auf einer psychiatrischen Akutstation vor allem die Angehörigengespräche unterbleiben.
- Angebote für Angehörige regelhaft gemacht werden können, die zur Stabilisierung der Patienten und zur Reduzierung von Wiederaufnahmen beitragen, wie z. B. psychoedukative Angebote.
die menschenwürdige Begleitung von Fixierungen entsprechend des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 24.07.2018 sicher gewährleistet ist und vorherige, personalintensive Deeskalati-onsmaßnahmen vollständig ausgeschöpft und dokumentiert werden.
- daher schließen wir uns der Forderung der Patientenvertreter, des Deutschen Pflegerates und der Bundespsychotherapeutenkammer an, dass eine deutliche Erhöhung der Minutenwer-te bei den Ärzten, den Pflegefachpersonen und den Psychologen erfolgen muss. Der vorgelegte Entwurf lässt diesbezüglich nicht erkennen, dass sich der G-BA bereits auf Nachbesserungen geeinigt hätte.
durch handlungsorientierte Therapieverfahren die Aktivierung und Wiedererreichung der All-tagsbefähigung der psychisch erkrankten Menschen auf den Stationen und die Unterstützung des Übergangs nach Hause besser stattfinden kann. Es kann nicht länger angehen, all diese Auf-gaben überwiegend ihren Angehörigen zu überlassen, ebenso wenig, dass an den Wochenenden solche Behandlungsverfahren unterbleiben müssen und ein Übungsverlust eintritt.
- daher unterstützen wir die Forderung der Patientenvertreter nach Aufstockung des fachtherapeutischen Personals (Ergotherapie, Bewegungstherapie, Sozialdienst) entsprechend der Werte der „Schussenrieder Tabelle“.
die notfallmäßige Versorgung unserer erkrankten Familienmitglieder jederzeit sichergestellt ist, ohne dass überkommene personalsparende Konzepte wie geschlossene Stationen für den Nachweis einer Pflichtversorgung herhalten müssen und ohne dass sich die Aufnahme-Abläufe für die erkrankten Menschen langwierig oder gar traumatisch gestalten.
- daher fordern wir eine moderne Definition von Pflichtversorgung, mit Aufschlägen auf die Personalausstattung, orientiert an der Anzahl von Aufnahmen außerhalb der regulären Dienstzeit, die eine ausreichende Personalreserve für die Notfallversorgung garantieren.
eine Nachtwachenbesetzung nicht nur minimal definiert wird, sondern so, dass psychisch kranke Menschen nachts nicht sich selbst überlassen sind und jederzeit, d.h. 24 Stunden rund um die Uhr, einen Ansprechpartner finden; es darf nicht geschehen dass z. B. alte Menschen nachts in hilflosen Positionen verharren und viel zu lange auf Hilfe warten müssen.
- daher schließt sich der BApK der Forderung der Patientenvertreter und des Deutschen Pflegerates an, für die Nachtwachenbesetzung eine Untergrenze von 1,6 anwesenden Kräften für den Bereich G zu definieren und einen Aufschlag für größere Stationen zu bestimmen, und für die anderen Bereiche eine Untergrenze von 1,4 anwesenden Kräften zu definieren. Allerdings geben wir zu bedenken, dass im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Akutversorgung diese Zahl u. E. zu gering ist, um die nächtliche Aufsicht und Verfügbarkeit sicherzustellen. Hier muss ggfs. eine zusätzliche, flexible Personalreserve verfügbar gemacht werden. Auch ist für alle Patienten bis 22.00 h eine ausreichende personelle Mitarbeiterbesetzung sicherzustellen.
die Stationsgrößen verträglich groß definiert werden, um den Patienten eine bessere Orientierung zu geben und Aggressionen untereinander, die nachweislich aufgrund der Gruppengröße zunehmen, zu verhindern und damit neue Traumatisierungen zu vermeiden
- daher schließen wir uns dem Vorschlag der DKG an, die Minuten-Sockelwerte zu erhalten und nicht, diese (Vorschlag des GKV-SV) auf die Minutenwerte des Pflegepersonals umzurechnen. Letzteres würde einen Fehlanreiz für das Definieren von zu großen Stationseinheiten dar-stellen. Des Weiteren sehen wir kritisch, ob eine Definition der anzustrebenden Stationsgrößen wie vom Deutschen Pflegerat in § 2 (9) und vom GKV-SV und den Patientenvertretern in § 10/12 (1) vorgeschlagen, praktikabel ist; beim letzteren Vorschlag zusätzlich, dass aus der in (2) angekündigten Personalerhöhung bei Überschreitung der Platzzahl nicht ein Fehlanreiz erwächst.
die Beziehungskontinuität des Behandlungsteams für die Patienten gewährleistet sein muss, was bedeutet, dass wir einen Zustand großer „Springerpools“ für die Nachsteuerung der Mindest-Personalausstattung unerträglich fänden. Wir befürchten aber, dass eine solche Regelung als Antwort der Kliniken auf die Vorgabe monatlicher bzw., folgt man den vorgeschlagenen Regelun-gen in § 17, sogar tageweiser Erhebungen der Personalausstattung in einer schwankenden Belegung mit Patienten resultieren würde.
- unnötiger Bürokratieaufwand vermieden wird, der der Zeit für unsere psychisch kranken Familienmitglieder abgeht. Dieser würde entstehen, wenn die Stationen verpflichtet würden, zusätzlich zu dem bereits gestiegenen Aufwand durch die OPS/PEPP-Nachweise fortlaufend entsprechend der Durchschnittsbelegung die Personalbesetzung je Station nachzuhalten.
- daher schließen wir uns dem Vorschlag an, die Personalausstattung je Station monatlich oder alternativ auch nur quartalsweise zu melden, um eine tagesbezogene bedarfsorientierte Flexi-bilität zu ermöglichen.
Wir begrüßen ausdrücklich die Mitteilungsverpflichtung.
eine aufsuchende, stationsäquivalente Behandlung unter Einbeziehung der Angehörigen auch für den Bereich S9 und G9 möglich werden muss. Insbesondere viele gerontopsychiatrische Pati-enten können davon sehr profitieren, wenn die Angehörigen oder das versorgende Umfeld das mittragen.
Gudrun Schliebener
(Vorsitzende)
für den Vorstand
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in den Bundesländern unterstützt der BApK die Familien-Selbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
BAG Selbsthilfe
z.H. Frau Nicole Kautz, M.A.
Koordinatorin für geschlechtssensible Selbsthilfearbeit
Mariendorfer Damm 159 12107 Berlin
7.5.2019
Stellungnahme und Forderung für Familien mit mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil - Komplexe Hilfen in der Lebenswelt sichern!
Sehr geehrte Frau Kautz,
als Angehörige psychisch erkrankter Menschen wissen wir, dass es unmöglich und zum Scheitern verurteilt ist, nur das erkrankte Familienmitglied in den Fokus von Unterstützungsmaßnahmen zu nehmen. Für den Erfolg jedweder Intervention ist die Einbeziehung der gesamten Familie in ihrem sozialen und beruflichen Umfeld unerlässlich.
Für den BApK ist klar: Zum Schutz von Familien gilt die Ausrichtung „Prävention vor Intervention“. Es muss gehandelt werden, ehe die Erkrankung der Eltern bei den Kindern psychische und soziale Folgen zeitigt!
Die psychische Erkrankung von Eltern kann durch Beeinträchtigungen bei der Betreuung und im Erziehungsverhalten, als auch durch Trennungen von den Kindern zu belastenden Auswirkungen führen. Aktuellen Forschungen zufolge, leben ca. 3,8 Millionen Kinder mit diesem psychosozialen Risikofaktor. Es wird beobachtet, dass psychisch erkrankte Eltern häufig an Schuldgefühlen leiden, weil sie ihren Aufgaben als Eltern nicht voll umfänglich und kontinuierlich gerecht werden können. Sie empfinden sich selbst gegenüber ihrer Familie als Belastung. Das hat negative Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung und ihre Genesung und somit direkt auf die Kinder.
Wesentlich für den Erfolg der unterschiedlichen Unterstützungsangebote für Kinder psychisch erkrankter Eltern ist die übergreifende Zusammenarbeit der Disziplinen Soziale Arbeit (SAB), Medizin/Therapie, Pädagogik, Politik und Verwaltung. Der BApK fordert alle beteiligten Professionellen der stationären als auch ambulanten Hilfesysteme dazu auf, die ganze Familie samt ihres Umfelds in den Blick zu nehmen. Belastungsfaktoren wie Parentifizierung, Tabuisierung, sozialer Rückzug und sozioökonomische Belastungen, wie Arbeitslosigkeit und beengte Wohnverhältnisse mit ihren Auswirkungen auf eine gesunde körperliche wie psychische Entwicklung der Kinder, sind inzwischen in der Literatur hinreichend beschrieben und belegt.
(Mattejat, Fritz; Lisofsky, Beate (Hg.): Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker, S. 85/86, BALANCE buch+medien, Köln, 4. Aufl., 2014)
(Wiegand-Grefe, Silke; Mattejat, Fritz; Lenz, Albert (Hg.): Kinder mit psychisch kranken Eltern. Klinik und Forschung, Vanderhoeck & Rupprecht, Göttingen/Oakville U.S.A., 2011)
(Schulze, Ulrike M. E.; Kliegl, Kathrin; Mauser, Christine u. a. (Hg.): ECHT STARK!. Ein Manual für die Arbeit mit Kindern psychisch kranker und suchtkranker Eltern, Springer, Berlin/Heidelberg, 2014)
Wir fordern die verantwortlichen politischen Vertreter*innen deshalb auf, die Finanzierung der kontinuierlichen Vernetzung aller beteiligten Professionen zu sichern. Laut Sachverständigenrat des Gesundheitsministeriums (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheits-wesen: In: 3. Sozioökonomischer Status und Verteilung von Mortalität, Morbidität und Risikofaktoren, Gutachten, Bonn 2005, URL: http://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=88) wurde in epidemiologischen Studien dargelegt, dass Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status überproportional häufig einen beeinträchtigten Gesundheitszustand und eine geringere Lebenserwartung aufweisen, als Personen mit höherem sozioökonomischem Status. Der Zusammenhang zwischen Ungleichheit von Gesundheitschancen und Armut, ist hierbei nicht zu übersehen. Bei der Entwicklung von Strategien auf dem Gebiet der Prävention und für die Gewährleistung der Wirksamkeit von Interventionen, sollten soziale Unterschiede zwingend berücksichtigt werden. Dies betrifft sowohl Bildung, beruflicher Status, Einkommen (vertikale Merkmale), als auch Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität, bzw. Migrationshintergrund (horizontale Merkmale). Der Sachverständigenrat leitet aus dem Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Status und Verteilung von Mortalität, Morbidität und Risikofaktoren, die Forderung ab, Gesundheitsberichterstattung und die Berichterstattung über Armut und Reichtum zu verknüpfen. Der BApK unterstützt diese Forderung.
Schon heute zeichnet sich ab, dass die Folgen unterlassener Prävention und unzureichender Unterstützungsmaßnahmen für Familien mit psychischen Belastungen unser Gesundheitssystem finanziell extrem belasten. Es ist also auch aus wirtschaftlichen Gründen dringend angeraten, vorbeugend aktiv zu werden und Unterstützungsangebote passgenau, flächendeckend und leicht zugänglich anzubieten und finanziell zu sichern. Hierzu gehört:
Der Austausch der beteiligten Professionen sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung und Pflege dieses Netzwerks.
Die Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachkräften, das Infomieren über die Bedürfnisse und Nöte betroffener Kinder, mögliche Gefährdungen und über mögliche Bewältigungsstrategien und Schutzfaktoren mittels Workshops, Fachtagungen, Inhouseseminaren und weiteren Methoden. (Kliniken, niedergelassene Psychiater*innen, Kinderärzt*innen, Jugendamt, Gesundheitsamt, Hebammen, Lehrkräfte, Betroffenenver-bände, Suchthilfe).
Bewährte und evaluierte Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche nach Alter und Entwicklungsstand, die ihr Selbstwertgefühl verbessern und ihre Selbstwirksamkeits-erwartung erhöhen.
Die Einbeziehung und Beratung der Eltern und Verwandten oder weiteren Personen, die betroffene Familien ehrenamtlich unterstützen.
Die Förderung der Selbsthilfe.
Unterstützung der Familien in ihrem häuslichen Umfeld.
Sicherung der Betreuung der Kinder durch vertraute Bezugspersonen, professionell oder privat, in akuten Krisen und wenn ein Elternteil stationär behandelt werden muss.
Die Entwicklung und Durchführung sensibler Maßnahmen zum Auflösen oder Verhindern von Vorurteilen und Diskriminierung betroffener Familien.
Die Weiterentwicklung aller Maßnahmen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Wir bedauern sehr, von den Ministerien als Bundesverband bei diesem sehr wichtigen Thema nicht direkt einbezogen worden zu sein. Nichtsdestotrotz nutzen wir die gerne Gelegenheit, uns zu äußern und bedanken uns für die Übermittlung unserer Einschätzungen und Forderungen an die Politik.
Heike Petereit-Zipfel
im Namen des Bundesvorstands
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in den Bundesländern unterstützt der BApK die Familien-Selbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
Aktion Psychisch Kranke e.V.
z.H. Herrn Krüger
Oppelner Str. 130
53119 Bonn
Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen - “Versorgungsbereiche (ambulante, teilstationäre, stationäre Behandlung und medizinische Rehabilitation)“- Handlungsbedarfe und Optionen, Anfrage der APK vom 27.02.2019
7. 5. 2019
Sehr geehrter Herr Krüger,
mit Interesse hat der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) von der Projektförderung des BMG zum Thema „Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen“ erfahren, deren Organisation der APK übertragen wurde. Wir danken Ihnen, dass wir uns im Rahmen des dreijährigen Projektes mit Expertinnen und Experten sowie Vertretern und Vertreterinnen von Fachverbänden in den Prozess der Weiterentwicklung von Hilfen für psychisch erkrankte Menschen (ambulante, teilstationäre, stationäre Behandlung und medizinische Rehabilitation) unter dem Fokus des SGB V einbringen können, um einen Entwicklungsbedarf aufzuzeigen sowie Formulierungen von Empfehlungen gemeinsam verfassen zu können. Der Bundesverband der Angehörigen Psychisch erkrankter Menschen e.V sieht folgenden Handlungsbedarf und folgende Optionen:
Sicherstellung der Grundversorgung
- Im SGB V ist die Stärkung der regionalen Gesundheitsversorgung – Bedarfsgerechte Versorgung aufzunehmen: Der BApK wünscht sich eine langfristige Sicherstellung der Gesundheitsversorgung auch in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Diese beinhaltet unter anderem eine flächendeckende, bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung für psychisch erkrankte Menschen und deren Angehörige.
Leistungen der Familie/ Netzwerke
- Im SGB V muss die Familie als Bezugsgröße eingebracht werden, dies fehlt bisher. Das beinhaltet unter anderem, dem Angehörigen als professionell Tätiger besser zuzuhören. Grund für das Zuhören ist, dass sich Krisen häufig im häuslichen Umfeld entwickeln bzw. dort am ehesten wahrgenommen werden. Angehörige können aus ihrer Erfahrung heraus wichtige Hinweise auf eine sich anbahnende kritische Entwicklung geben, häufig wird ihnen aber im Hilfesystem nicht zugehört. Zusätzlich gibt es immer noch zahlreiche Familien, in denen eine pflegende Person wegen zu geringer Rente in die Grundsicherung abrutscht. Im SGB V ist hierzu bislang kaum etwas verankert, nur die Haushalthilfe, alles andere ist untergesetzlich.
- Der BApK fordert, dass im SGB V die Leistungen der Familie zu berücksichtigen sind. Dies beinhaltet unter anderem Ausfallleistung, Rehabilitationsleistungen, Beratungsleistungen und eine finanzielle Versorgung der Familienmitglieder, die über lange Zeit aus Gründen der Betreuung und Begleitung des psychisch beeinträchtigten Familienmitglieds nur teilweise oder geringfügig Arbeitsleistungen erbringen konnten.
- Im SGB V ist die Verpflichtung der Anbieter von Leistungen zur Beteiligung an verbindlich vereinbarten Netzwerken aufzunehmen. Dabei findet auch die Selbsthilfe Berücksichtigung. Als Standard sollen hier die Gemeindepsychiatrischen Verbünde mit ihren Qualitätsstandard gelten.
- Der § 38 SGB V Haushaltshilfe ist dahingehend anzupassen, dass bei der Beantragung der Haushaltshilfe das Alter des Kindes irrelevant ist (Derzeit darf das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet sein). Der BApK fordert, die Altersgrenze zu streichen und eine Regelung für Lohnersatz und Haushaltshilfeleistungen (in Analogie zur „Kind krank“ Regelung) zu finden.
Veranlassung von Leistungen
- Im SGB V müssen die Leistungen der Kliniken wie z.B. integrierte Versorgung, stationsäquivalente Behandlungen und PIA weiter ausgebaut werden.
- Im SGB V müssen Dokumentationsleistungen verankert werden. Als Beispiel sollten Zwangsmaßnahmen besser dokumentiert werden, da die intensivere Beschäftigung und Bewusstmachung hiermit letztlich auch zu einer Reduzierung von Zwang führt: „Wenn genauer hingeschaut wird, werden öfter Alternativen gesucht“.
- Im SGB V sind die Veranlassung von Leistungen und Inanspruchnahme von Leistungen für Angehörige von psychisch erkrankten Menschen aufzunehmen. Auch Angehörige bzw. zusammenwohnende Personen von psychisch erkrankten Menschen sollten als Auftraggeber fungieren können, um z.B. Leistungen der Eingliederungshilfe anfordern zu können und z.B. einen Antrag auf ambulant betreutet Wohnen stellen zu können (nicht nur auf Wunsch des zu Behandelnden) oder um z.B. einen Hausbesuch von einem Facharzt veranlassen zu können.
Leistungen zur Teilhabe
- Der § 2a SGB V – Leistungen an behinderte und chronisch kranke Menschen ist anzupassen, dass insbesondere den Bedürfnissen und Belangen von psychisch erkrankten Menschen Rechnung zu tragen ist. Dies beinhaltet unter anderem die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Leistungen zur Teilhabe Leben in der Gemeinschaft.
Soziotherapie
- Der § 37 a Soziotherapie SGB V ist dahingehend anzupassen, dass Betroffene und Angehörige von psychisch erkrankten Menschen eine finanzielle Entlastung erhalten, indem sie von Zuzahlungen befreit werden. Ferner fordert der BApK mit Nachdruck die flächendeckende Umsetzung von Soziotherapie, die mit einer höheren Therapiestundenzahl und möglicher Dauer einhergehen sollte.
Rehabilitation/ Krankenbehandlung
- § 40 SGB V Rehabilitation: Der BApK fordert, dass durch einen umfassenden Reformprozess das Leistungsgewährungs- und Versorgungssystem so umgestaltet wird, dass die Rehabilitationsdienste und -programme zeitnah für alle Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen im Sinne mobiler, aufsuchender, begleitender Rehabilitationsleistungen zur Verfügung stehen. Der BApK fordert das Umdenken von der zentrierten Rehabilitation in eine Ambulantisierung sowie eine stetige Begleitung des psychisch erkrankten Menschen und dessen Angehörigen.
Psychoedukation
- Viele Angehörige wissen mit „Psychiatrie“ und mit psychiatrischen Problemen nicht umzugehen, missdeuten Krankheitsanzeichen als „Schwierigkeiten“ im Verhalten. Angehörige brauchen daher Unterstützung zum besseren Verstehen psychischer Erkrankungen, des Hilfesystems sowie das Erwerben von Kompetenzen zur De-Eskalation und zur Stressbewältigung. Angehörige, die gut über die Erkrankung aufgeklärt wurden, können allein durch ihre alltägliche Hilfe das Risiko für eine neue Krankheitsphase erheblich reduzieren. In der Psychoedukation lernen sie Ursachen und Auswirkungen der Erkrankung kennen. Sie sollen Sicherheit im Umgang mit den Betroffenen bekommen. Angehörige verstehen dadurch besser, warum ihr Familienmitglied sich in bestimmter Art verhält.
Familie als Hauptversorgungsträger
- Wir weisen darauf hin, dass derzeit Familien nach wie vor der Hauptversorgungsträger von psychisch erkrankten Menschen sind. Die Struktur der Familie ist im Wandel. Aus dem Grund empfehlen wir, im SGB V die Strukturen im ambulanten Bereich auszubauen. Die Angehörigen sind ein wesentlicher Garant dafür, dass Behandlungsleistungen überhaupt in Anspruch genommen werden. Durch die in der Gegenwart gegenüber früher veränderten Familienstrukturen können Unterstützungsleistungen wie z.B. beim Gang zu Ärzten oder Medikamentenmanagement nicht mehr sichergestellt werden. Diese veränderte Lage spiegelt sich noch nicht in der Abdeckung von Leistungen im ambulanten Bereich. Hierfür müssen GKV-finanzierte Leistungen bereitgestellt werden.
- Ist ein Familienmitglied psychisch krank, belastet das auch die Angehörigen sehr. Angehörige erleben die Auswirkungen der Erkrankung hautnah mit und sind der Belastung täglich ausgesetzt. Angehörige brauchen Entlastung z.B. in Form eines „Hausgastes“. Ein Hausgast könnte eine Person sein, die der/dem Betroffenen zuhause für ein paar Stunden Gesellschaft leistet und während dieser Zeit kann der/die Angehörige eigenen Interessen nachgehen und regenerieren. Dadurch könnte sich ggf. die häusliche Situation entspannen, Konflikte entschärft und Zwang vermieden werden.
Aufsuchende Hilfe
- Zentrales Problem der Angehörigen ist der erlebte Konflikt zwischen Selbstbestimmung der erkrankten Person einerseits und dem Recht und Anspruch auf Hilfe andererseits. Individuelle Hilfeleistungen müssen unbedingt auch den Sozialraum, das Umfeld und vor allen Dingen die Angehörigen als Mitbetroffene mit einbeziehen. Auch Angehörige müssen das Recht haben, für sich Hilfe einzufordern, nicht nur die erkrankte Person.
Demographischer Wandel
- Demographischer Wandel- Fachärzte- und Pflegemangel / andere Strukturen: Wir weisen darauf hin, dass uns in Deutschland ein Fachärzte- und Pflegemangel bevorsteht, jetzt schon! Grund dafür ist der doppelte demografische Wandel, den die Bundesärztekammer im Jahr 2017 schon einmal benannt hat. Zusätzlich zu dem Fachärztemangel weist der BApK auf die derzeitigen schwierigen Strukturen im stationären, teilstationären und ambulanten System hin. Es müssen Strukturen gefunden werden, die stationäre, teilstationäre und ambulante Versorgung zu integrieren. Als ein Beispiel ist das Modellprojekt in der Stadt Hamm zu nennen.
- Der BApK fordert: Es soll Aufgabe des Bundes sein, im Rahmen seiner Möglichkeiten und da, wo es für die Länder nicht zu leisten ist, die Kapazitäten für die Ausbildung von Ärztinnen, Pflegekräften und Angehörigen weiterer Heilberufe zu erweitern. Die bestehenden Hürden zur Aufnahme von Ausbildungen in den Heilberufen, z.B. das Schulgeld bei Ergotherapie, müssen abgeschafft werden. Weiterhin sollte die einzelfallbezogene Koordination als Leistung verankert und vergütet werden. Angehörige, die Leistungen analog erbringen, müssen entsprechend vergütet werden.
Es gibt darüber hinaus viele weitere Mängel, die es zu bearbeiten gilt. Bereits diese kurze Aufzählung mag Ihnen verdeutlichen, dass es Mängel im Versorgungsbereich gibt und aus unserer Sicht Lösungsansätze gefunden werden müssen.
Wir verbinden mit dem Verbändedialog und unserem fachlichen Input den Wunsch nach einer Weiterleitung der Forderungen an die Politik.
Gudrun Schliebener
Vorsitzende
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in den Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
Stellungnahme des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) zur RTL-Sendung des "Team Wallraff - Undercover in Psychiatrien und Jugendhilfe“ vom 18. März 2019
Die im o. g. Beitrag gezeigten Bedingungen in den Kliniken Frankfurt (Psychiatrie im Klinikum Frankfurt Höchst), Stuttgart (Furtbach-Krankenhaus), Berlin (Vivantes Klinikum Spandau) und in die Eifel (Case Projekt, Jugendhilfeeinrichtung in Wanderath) sind erschütternd und nicht hinnehmbar.
Die erschreckenden Missstände beginnen bei grober Vernachlässigung, gehen über die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten und hören bei der rechtlich zweifelhaften Methode der Fixierung von Patienten lange noch nicht auf.
Verzweifelte und traumatisierte Menschen werden hier zu Opfern von Methoden, die man glaubte, endlich hinter sich gelassen zu haben. Eine fatale Fehleinschätzung!
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Was sich hinter verschlossenen Türen abspielt, verletzt ohne Zweifel den ersten Artikel des Grundgesetzes Das ist nicht zu tolerieren! Überbelegung, veraltete Gebäude und überfordertes Personal produzieren menschenverachtenden Zuständen. Deutschland ist ein reicher Staat – und muss er sich für die hier gezeigten Missstände schämen.
Der BApK fordert:
- eine rasche und lückenlose Bestandsaufnahme der Situation in psychiatrischen Kliniken
- die zeitnahe Einleitung von Gegenmaßnahmen. Dazu zählen in erster Linie die Verbesserung der Ausstattung der Kliniken und die Sicherstellung einer ausreichenden Personaldecke auf allen Ebenen
- Die Achtung von Patientenrechten, die beinhaltet sowohl den Kinder- und Jugendbereich sowie den Erwachsenenbereich.
- die Installierung von Kontrollprozessen, mit dem Auftrag Missstände aufzudecken und zu dokumentieren
- konkrete Entscheidungen der politisch Verantwortlichen und Bereitstellung von finanziellen Mitteln.
Psychisch erkrankte Menschen sind in besonderem Maße schutzbedürftig. Ihre persönliche Lage lässt es häufig nicht zu, sich für ihre Rechte selber einzusetzen. Es liegt in der Verantwortung der Politik und der von ihr eingesetzten Behörden, ihre persönlichen Rechte zu wahren und ihre Würde zu schützen.
Gudrun Schliebener
Vorsitzende Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in den Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
BAG Selbsthilfe e. V.
Herrn Dr. Martin DAnner
Bundesgeschäftsführer
Kirchfeldstraße 149
40215 Düsseldorf
Stellungnahme Rehabilitation Verbandsdienst 16/2019 - Forderungspapier der BAG SELBSTHILFE zur Rehabilitation vom 12.03.02019
Sehr geehrter Herr Dr. Danner,
das Forderungspapier zur „Rehabilitation personenzentriert neu gestalten“ wurde vom Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) mit Interesse gelesen. Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. begrüßt die Forderungen der BAG Selbsthilfe und gibt folgende Stellungnahme ab.
Krankheiten, Behinderungen und Unfälle können jeden Menschen treffen - oft mit erheblichen Folgen für die Familie, den persönlichen Alltag und den Beruf. Rehabilitation und Leistungen zur Förderung der Teilhabe leisten in dieser schwierigen Situation einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung bzw. Wiederherstellung eines ganzheitlich unbeeinträchtigten Zustandes im Sinne der ICF. Besonders Menschen mit bereits bestehenden Behinderungen sind auf regelmäßige Rehabilitationsleistungen angewiesen. Die Vereinten Nationen haben auf dieses Thema reagiert und in dem Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen, der sog. UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), eine Handlungsanweisung formuliert. Der Artikel 26 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt die staatliche Pflicht, umfassende Habilitationsangebote sowie Rehabilitationsdienste und –programme, insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheit, der Beschäftigung, der Bildung und der Sozialdienste zur Verfügung zu stellen. Behinderten Menschen soll so ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ermöglicht und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens gewährleistet werden.
Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. die Intensivierung von Rehabilitationsangeboten sowie konkrete Maßnahmen zur Umsetzung einer inklusiven Gesellschaft durch den Gesetzgeber. Folgende Punkte sind für den BApK dabei von zentraler Bedeutung:
Rehabilitation für alle Menschen
Der BApK fordert einen umfassenden Reformprozess, der das Leistungsgewährungs- und Versorgungssystem so umgestaltet, dass diese Rehabilitationsdienste und -programme zeitnah für alle Menschen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung stehen.
Der BApK fordert einen offensiv betriebenen Wandel weg von einer zentrierten hin zu einer gleichwertigen ambulanten und mobilen Rehabilitation, sowie eine intensive und bedürfnisorientierte Begleitung psychisch erkrankter Menschen und ihrer Angehörigen.
Rehabilitation - Fachkräfte und finanzielle Rahmenbedingungen
In Hinblick auf den demographischen Wandel ist es erforderlich, qualifizierte Fachkräfte für die Rehabilitation zu gewinnen. Dies betrifft Ärzte, Psychologen, Therapeuten, Sozialarbeiter und Pflegekräfte gleichermaßen.
Der BApK fordert die zeitnahe Ausbildung und Neueinstellungen von Fachkräften. Dabei ist darauf zu achten, dass eine ausreichende finanzielle Vergütung für die Fachkräfte vorgesehen wird.
Weiterhin fordert der BApK eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die die Attraktivität in den einzelnen Berufsgruppen der Rehabilitation steigert.
Veränderung des Versorgungsystems
Der BApK fordert, dass durch einen umfassenden Reformprozess das Leistungsgewährungs- und Versorgungssystem so umgestaltet wird, dass Rehabilitationsdienste und –programme zeitnah für alle Menschen mit Beeinträchtigungen zur Verfügung stehen und schließt sich hiermit der Forderung der BAG Selbsthilfe an. Des Weiteren mahnt der BApK an,
die langen Wartezeiten für die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen deutlich zu verkürzen und
die Zusammenarbeit zwischen den Schnittstellen der Hilfeangebote zu verbessern. Dabei sollten die professionellen Hilfeangebote untereinander sowie mit der Selbsthilfe kooperieren, um eine passgenaue, optimale und nachhaltige Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen sicherzustellen.
Medizinische Rehabilitation - wohnortnahe Rehabilitation - bedarfsgerechte Versorgung
Als Reaktion auf die Zunahme regionaler Disparitäten in der ambulanten Versorgung hat der Gesetzgeber zum Jahresbeginn 2012 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) Maßnahmen – auch die Bedarfsplanung betreffend – ermöglicht, um die wohnortnahe und flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Ziel ist es, die Verteilung der Ärzte zugunsten ländlicher, strukturschwacher Regionen zu verbessern. Leider sehen wir bis heute erhebliche Mängel in der Umsetzung.
Der BApK fordert Möglichkeiten einer flächendeckenden, wohnortnahen Rehabilitation, insbesondere durch mobile, d. h. aufsuchende Rehabilitationsangebote.
Der BApK erwartet eine netzübergreifende Kommunikation, Interaktion und Kooperation aller Organisationen.
Eingliederungshilfen für Menschen mit (seelischen) Behinderungen
Die Eingliederungshilfe soll Menschen mit Behinderungen zu einem weitgehend selbständigen Leben befähigen. Dazu gehört vor allem eine selbstbestimmte, an den persönlichen Möglichkeiten orientierte Berufswahl und ein möglichst autonom zu bewältigender Alltag. Barrieren, wie z. B. das Ausfüllen eines Antrags, müssen ausgeräumt oder Hilfen zur Überwindung bereitgestellt werden. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft muss unbedingt sichergestellt werden.
Der BApK fordert, den Zugang zur Eingliederungshilfe stärker unter dem Aspekt der Barrieren zu betrachten. Dabei müssen verschiedene Themen in den Fokus gerückt werden, wie z. B.:
a) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Die Zahl der Fehltage aufgrund von seelischen Erkrankungen hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdreifacht. Das bestätigen Analysen der DAK, BKK und Techniker Krankenkasse. Daher ist es wichtig, auch Führungskräfte und Arbeitskollegen über das Thema (seelische) Behinderung zu informieren. Denn auch ein positiver Umgang mit dem Betroffenen, kann zur Gesundung, zur Stärkung seiner Fähigkeiten und zur Selbstbestimmung beitragen.
Für eine gelungene Rehabilitation und eine langfristig erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt ist eine ausreichende, dauerhaft sichergestellte Unterstützung von betrieblichem Gesundheitsmanagement, betrieblichem Eingliederungsmanagement und Qualitätssicherung im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zwingend notwendig.
b) Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
a. Wohnraum: Hilfe bei der Beschaffung von Wohnung, Umbaumaßnahmen oder auch bei der Finanzierung einer behindertengerechten Wohnung.
b. Aufklärung über (seelische) Behinderungen: Gesellschaftliche Teilhabe bedeutet auch, der Stigmatisierung durch gezielte Informationsvermittlung entgegenzuwirken.
c. Soziale und kulturelle Teilhabe: Weder finanzielle noch soziale Barrieren dürfen Kinder, Jugendliche und Erwachsen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen. Es müssen Ressourcen geschaffen werden, die Inklusion fördern, den Kontakt innerhalb funktionierender Strukturen intensivieren und neue Wege der Begegnung ermöglichen.
Verbesserte Rehabilitationsmöglichkeiten für pflegende Angehörige
Die Pflegestatistik macht deutlich, wie notwendig es ist, dass sich Politik und Gesellschaft stärker als bisher auf Pflegebedürftige und ihre Familien einstellen. Grund dafür ist, dass bis heute ca. drei Viertel der Pflegebedürftigen – 2,59 Millionen – zu Hause betreut werden. Dazu zählen auch Menschen mit seelischer Behinderung. Das seit Januar 2019 in Kraft getretene Pflegepersonalstärkungsgesetz soll nicht nur für das Pflegepersonal, sondern auch für die pflegenden Angehörigen Entlastung bringen.
- Es muss dafür gesorgt werden, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziell nicht übermäßig durch die Pflege belastet werden oder gar in Armut leben müssen.
- Wir benötigen ein nachhaltiges und gerechtes Finanzierungskonzept für die Pflege insbesondere psychisch erkrankter Menschen und deren Angehöriger. Dieses muss auch Steuermittel in die Pflegeversicherung einbeziehen, denn Pflege geht uns alle an und ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Es gibt darüber hinaus viele weitere Mängel, die es zeitnah zu bearbeiten gilt. Bereits diese kurze Aufzählung mag Ihnen verdeutlichen, dass es einige Mängel im Rehabilitationsbereich gibt und aus unserer Sicht Lösungsansätze gefunden werden müssen.
Gudrun Schliebener
Vorsitzende
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in den Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
Bundesministerium für Gesundheit
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
11055 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Spahn,
mit großem Interesse hat der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) den Gesetzentwurf Ihres Ministeriums für schnellere Termine und eine bessere Versorgung im deutschen Gesundheitssystem - das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) - gelesen und lehnt diesen ab. Unsere Ablehnung des „TSVG“ resultiert aus den weiteren Hürden für Menschen mit seelischer Behinderung sowie deren Angehörigen, die ihnen in einer bereits ohnehin außerordentlich schwierigen und belastenden Situation in den Weg gestellt werden, anstatt diese auszuräumen. Oberstes Ziel der Gesundheitspolitik muss es sein, Hürden zu beseitigen und somit die – psychotherapeutische – Versorgung zu verbessern.
Für uns heißt das, eine zeitnahe und auf die individuelle Situation der Betroffenen abgestimmte Hilfe sicherzustellen. Stattdessen erschwert das geplante Gesetz die jetzt schon im Hinblick auf eine zeitnahe Terminvergabe beim Psychotherapeuten hochproblematische Versorgungssituation zusätzlich und stellt das Gegenteil einer Unterstützung von psychisch erkrankten Menschen und deren Angehörigen dar. Unser Bundesverband lehnt daher die neue Vorgehensweise hinsichtlich der Terminvergabe ab.
Auch Ihrem Vorschlag hinsichtlich einer weiteren, durch den „Gemeinsamen Bundesausschuss“ (G-BA) zu regelnden Terminvergabe, können wir nicht folgen. Drittpersonen - die nicht der Schweigepflicht unterliegen - sollen über die Diagnose von Menschen mit psychischen Erkrankungen informiert werden, und letztendlich darüber entscheiden, ob eine psychotherapeutische Behandlung notwendig ist. Wie kann ein nicht fachkundiges Personal Entscheidungen treffen hinsichtlich der Beschwerden des Patienten und der evtl. Medikamenteneinnahme. Die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und den Einfluss der Medikamente bezüglich anderer Erkrankungen können diese Nicht-Mediziner gar nicht beurteilen.
Gegen diese Vorwegnahme von Diagnosen durch nicht fachkundiges Personal – die gleichzeitig die Expertise von erfahrenen, gut ausgebildeten Psychologen und -Psychotherapeuten in Frage stellt – erhebt der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. Einspruch. Wir verweisen hier auf eine Entscheidung des Bundesrates, der bereits am 23. November 2018 die „hierarchischen Zuweisungswege in der psychiatrischen Versorgung“ ablehnte. Dringend notwendig erscheint uns allerdings eine rasche Ausweitung des psychiatrischen Sprechstundenangebots – auch und vor allem in bislang unterversorgten ländlichen Regionen, damit Betroffene und ihre Angehörigen zeitnah einen Termin und damit zielführende Hilfe bei dem entsprechenden Fachpersonal erhalten. Der bestehende Mangel an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen führt, wie Sie wissen dazu, dass Betroffene monatelang auf eine Richtlinienpsychotherapie warten müssen. Nicht nur für uns ist dies ein unhaltbarer Zustand, dem z. B. durch den Ausbau der psychiatrischen Sprechstunden begegnet werden könnte, würden doch psychisch erkrankte Menschen deutlich schneller ein erstes Gespräch beim Psychotherapeuten erhalten.
Wir möchten Sie daher dringend ersuchen, den Gesetzentwurf aus den oben genannten Gründen zurückzunehmen. Aus unserer Sicht müssen andere Lösungsansätze gefunden werden, um ein bedarfsgerechtes Therapieangebot sicherzustellen. Der Ausbau von psychotherapeutischen Sprechstunden, eine zukunftsweisende Bedarfsplanung, die auch die ländlichen Regionen berücksichtigt, sowie eine schnelle Terminvergabe innerhalb von maximal 2-3 Wochen erscheinen uns dabei unerlässlich, um auf das Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen angemessen zu reagieren. Außerdem ist es unser nachdrücklicher Wunsch, an der Diskussion um derart wichtige Reformen als institutioneller Partner zu einem möglichst frühen Zeitpunkt beteiligt zu werden.
Gudrun Schliebener
Vorsitzende
Dr. Rüdiger Hannig
stellv. Vorsitzender und Vorsitzender des LV Schleswig-Holstein AFpK
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen den Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
Bundesministerium für Gesundheit
Herr Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
11055 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Spahn,
mit Interesse hat der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) e.V. den Referentenentwurf zur Reform der Psychotherapeutenausbildung gelesen und lehnt diesen ab.
Unsere Ablehnung zu dem oben genannten Referentenentwurf resultiert aus der Nichteinbeziehung der Psychiatriereform in Deutschland in den letzten Jahrzenten sowie der Schlechterstellung von psychisch erkrankten Menschen in Bezug auf die Behandlungssicherheit in diesem Gesetzentwurf. Anstatt Menschen mit seelischer Behinderung und deren Angehörigen zu helfen und sie zu unterstützen, werden weitere Schwierigkeiten geschaffen, die die Betroffenen und ihre Familien überwinden müssen.
Aus der Sicht der von einer psychischen Erkrankung Betroffenen und ihrer Angehörigen sind wesentliche Aspekte - wie die Verordnung von Medikamenten, der Begriff bzw. die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut“ oder auch die Versorgung allgemein - unbefriedigend in der Reform thematisiert worden. Es gibt darüber hinaus viele weitere Mängel, die wir in einer erweiterten Stellungnahme konkreter ausführen werden. Wesentliche Punkte sind:
• Die Verordnung von Medikamenten durch medizinisch nicht umfassend ausgebildete Psychotherapeuten kann eine Gefährdung für die Patienten darstellen. Ein Grund dafür ist, dass die Wirkung der Medikation u. U. nicht sicher eingeschätzt werden kann. Auch mögliche Nebenwirkungen und/oder problematische Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten könnten nicht bedacht werden und so den Patienten gefährden. Es darf nicht sein und ist grob fahrlässig, dass ein 60 Stunden-Kurs ausreichen soll, damit ein „Nicht-Mediziner“, dem die pharmakologischen, anatomischen und internistischen Kenntnisse eines langjährigen Medizinstudiums fehlen, Medikamente verschreiben darf. Häufig leiden die Patienten zudem neben ihrer psychischen an verschiedenen somatischen Erkrankungen, die – so ist unsere Befürchtung – nicht in die Behandlung einbezogen würden. Das Vorhaben, den geplanten Modellstudiengang einzuführen, können wir nur ablehnen.
• Die neue Begrifflichkeit „Psychotherapeut“ lässt keinen eindeutigen Schluss auf die Grundausbildung zu und führt zu einer Irritation und Verunsicherung des Patienten. Auch dies lehnen wir ab.
• Die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen sehen wir ebenfalls in Gefahr und betrachten dies mit großer Sorge, wenn keine Kooperation in den einzelnen Berufsgruppen innerhalb der Psychotherapeutenausbildung und während ihrer Berufsausübung stattfinden wird.
Bereits diese kurze Aufzählung mag Ihnen verdeutlichen, dass aus unserer Sicht andere Lösungsansätze gefunden werden müssen. Wir verbinden mit der neuen Reform die Erwartung, dass der Ausbau von Kooperationen zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen und Organisationen gefördert wird. Auch wünschen wir uns, an derart wichtigen Reformen als institutioneller Partner bereits in diesem frühen Stadium beteiligt zu werden.
Gudrun Schliebener
Vorsitzende
Dr. Rüdiger Hannig
stellv. Vorsitzender und Vorsitzender des LV Schleswig-Holstein
Mitunterzeichner
Frank Müller
Vorsitzender Bundesverband für PTBS e.V.
Antonia Peters
Vorsitzende Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V.
Brigitte Richter
Außenbeauftragte Pandora e.V.
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen den Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe sowohl der psychisch erkrankten Menschen als auch ihrer Familien ein.
Seit einiger Zeit wird das Thema Hometreatment sehr stark in der Fachwelt diskutiert. Es ist ein innovatives Angebot von psychiatrischen Kliniken oder Gemeindepsychiatrischen Verbünden, bei der das Behandlungsteam psychisch erkrankte Menschen in ihrer gewohnten Umgebung versorgt. Psychiatrische Kliniken sprechen hierbei von einem innovativen Angebot, welches die stationäre Behandlung ersetzen und/oder die Behandlung verkürzen soll. Die Idee Hometreatment als Bestandteil der integrierten Versorgung anzusehen ist ein Vortschritt. Allerdings muss der Fokus des Hometreatments sich auf die besonderen Anliegen der Angehörigen und ihrer erkrankten oder seelische behinderte Familienmitglieder konzentrieren. Dazu gehört die differenzierte Betrachtung der Möglichkeiten des Hometreatments. Es ist zweifelsfrei eine gute Möglichkeit, Betroffene zu erreichen, die allein leben und zu krank für eine stationäre Behandlung sind, sich schwer tun mit Stationsregeln und -Ordnung und wenig soziale Umfeldunterstützung erhalten. Wenn es ein enges soziales Umfeld und auch noch die Unterstützung durch die Familie gibt, ist zu bedenken, dass Angehörige (Eltern, Partner, Geschwister oder Kinder) eines psychisch erkrankten Menschen ebenso von Hometreatments berührt sein können wie die Betroffenen selbst. Zu nennen ist unter anderem die Sorge und die Gefahr, die Verantwortung des professionellen Teams in die Familie zu verlagern, wodurch die Familien noch stärker belastet werden. Eine Belastung erfährt die Familie schon jetzt durch eine unzureichende finanzielle Absicherung pflegender Angehöriger, die besondere berufliche Situation und Doppelbelastung, die eingeschränkte allgemeine Teilhabe am sozialen Leben und die Schwierigkeiten in der Umsetzung der Interessen der Angehörigen gegenüber dem sozialen Hilfesystem und der nach wie vor gegebenen Stigmatisierung. Aufgrund der Sorge bezüglich der Verlagerung der Verantwortung und der Erhöhung der zeitlichen Inanspruchnahme darf das aufsuchende Angebot von dem multiprofessionellen Team nur mit Einwilligung des Patienten und seiner Familie - sofern sie in einem Haushalt zusammenleben - durchgeführt werden. Eine Übereinstimmung von Betroffenen und Angehörigen bezgl. der Behandlung im eigenen häuslichen Umfeld muss gewährleistet sein. Ferner muss die Aufnahme auf freiwilligen Basis und mit dem Einverständnis der Personen erfolgen, die im selben Haushalt leben oder sehr engen Kontakt zu den Betroffenen haben. Eine Entscheidung bezgl. des Hometreatments darf nicht von professioneller Seite allein stattfinden! Es sollten nur Menschen mit psychischen Erkrankungen aufgenommen werden, die aufgrund einer akuten Krise sonst stationär behandlungsbedürftig wären. Ausschlusskriterien sind unserer Meinung nach akute Selbst- oder Fremdgefährdung.
Hometreatment ist eine sehr gute Ergänzung des Behandlungsangebotes und hilft bei der Überwindung der einzelnen Sektoren stationär, teilstationär und ambulant, ist aber bedeutend mehr als die in der Diskussion befindliche Stationsäquivalente Behandlung, sondern umfasst auch soziale Interventionen.
Von C. Trautmann und G. Schliebener
Die Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) vertritt als Selbsthilfe-Organisation Familien mit psychisch kranken Menschen auf Bundesebene. Unser Leitbild lautet: Mit psychisch Kranken leben – selbstbewusst und solidarisch. Die Aufgaben sieht der BApK in der Einflussnahme auf Politik und Gesetzgebung, der Förderung und Vernetzung der Aktivitäten der Landesverbände, der kritischen Begleitung der Entwicklungen in Kliniken und Gemeindepsychiatrie, der Information und Beratung des sozialen Umfeld von Menschen mit psychischen Erkrankungen; dies gelingt dem BApK unter anderem mit der Bereitstellung des "SeeleFon“, der Organisation von Tagungen und Seminaren, der Veröffentlichung von Informationsmaterialien, die Familien mit betroffenen Menschen praktische Hilfe und sachliche Informationen geben, der Beteiligung als Mitherausgeber der "Psychosozialen Umschau" und als Mitbetreiber des "Psychiatrienetzes.
Gerade die Einflussnahme auf Politik, in der es um Gesetzesregelungen geht, vertritt der BApK die Rechte der Angehörigen, verfasst Stellungnahmen und gibt Empfehlungen wie z.B. zum psychiatrischen Versorgungssystem, Bundesteilhabegesetz (BTHG), PEPP und Hometreatment und viele mehr. Andere Themen wie die Forensik/der psychiatrische Maßregelvollzug sind ebenfalls Themenschwerpunkte des BApK und werden mit den einzelnen Landesbeauftragten für Maßregelvollzug der einzelnen Länder diskutiert und durch gemeinsame Tagungen für Angehörige und Fachexperten ausgerichtet.
Wie Sie sehen, ist der BApK in zahlreichen unterschiedlichen Politikfeldern im Bereich der Psychiatrie aktiv und wünscht sich eine weitere Beteiligung in der EU. Menschenrechte, Gesundheit, berufliche Bildung, Jugend, Forschung und Innovation, Entwicklung und Zusammenarbeit etc. sind wichtige Themen, die sowohl Angehörige von psychisch erkrankten Menschen, als auch Psychiatrieerfahrene betrifft. Alleine der Schwerpunkt Menschenrechte bzw. Menschenrechtsansatz beinhaltet die Gewährleistung der Rechte in der systematischen Praxis, das bedeutet auch, dass die Menschenrechte zu den Grundlagen in der Psychiatrie gehören und dort Anwendung finden sollten. Dies ist aber nicht immer der Fall und müsste in der EU grundlegend diskutiert werden. Die Rechte wie z.B.: 1. „ Das Recht auf Gleichheit vor dem Recht“ ist bis heute in Deutschland diskriminierend. Noch immer haben wir nicht das volle Wahlrecht für Menschen mit Behinderung. Die EU müsste darüber aufklären, wie Sie Menschenrechte von psychisch erkrankten Menschen und die Rechte der Angehörigen wahren. Auch das „Recht auf Gesundheit“ gilt es zu überdenken. Dies ist bis heute nicht wirklich umgesetzt. Es geht um die psychische oder körperliche Gesundheit bei Menschen mit seelischen Behinderungen. Es ist noch immer ungleich schwerer, z.B. bei einer Schizophrenie eine geeignete Psychotherapie zu finden, als bei einem komplizierten Bruch eines Knochens. Das Recht auf Gesundheit gilt übrigens auch für die nahen betreuenden Angehörigen, die zum großen Teil lebenslang erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Auch hier müsste die EU Bericht erstatten und erläutern warum das Recht auf Gesundheit ungleich ausfällt und warum Angehörige keine (finanzielle) Unterstützung erhalten. Das Recht auf Integrität der Person ist ebenfalls kritisch zu analysieren. Wer psychisch krank ist, dessen Integrität ist leichter verletzbarer, weil viele der betroffenen Menschen sich nicht entsprechend wehren können. Sie sind rascher kränkbar, leiden unter unsichtbaren Barrieren. Auch diese Erfahrungen teilen wir mit vielen Betroffenen, dass auch die Integrität von Angehörigen immer mal wieder bezweifelt wird, weil irgendjemand ja Schuld haben muss an der Erkrankung. Auch hier wäre es wünschenswert, wenn die EU auf EU-Ebene Aufklärungsarbeit betreiben würde. Nicht alle Rechte können wir hier auflisten, als letztes Sei kurz das Recht auf Freiheit und würdevoller Behandlung genannt, die in der Psychiatrie nur bedingt vorkommen. Fixierung werden auch in Deutschland an psychisch erkrankten Menschen durchgeführt und stehen stark in Kritik. Zwangsmaßnahmen, unmenschliche und erniedrigende Behandlung dürfen in keinem Land vorkommen. Aber auch hier weisen wir darauf hin, dass auch Angehörige ggf. im schlechten Umgang z.B. durch Kliniken, die Angehörige nicht einbeziehen, sich erniedrigt fühlen können, weil man sie nicht ernst nimmt. Angehörige beanspruchen ebenfalls das Recht auf guten Umgang mit uns und den Verzicht auf jegliche Form von Abwertung. Auch hier sehen wir für die EU Handlungsbedarf, dieses Unterthema zu analysieren und zu sensibilisieren. Weitere Themenbeispiele, die in der EU beratschlagt werden müssen sind unter anderem das Thema Armut von psychisch erkrankten Menschen zu nennen. Wenn wir uns in der EU umsehen, hat jede sechste Person eine leichte bis schwere Behinderung. Das sind ca. 80 Millionen Menschen. In Deutschland sind es ca. 7 Millionen Menschen, die eine anerkannte Schwerbehinderung haben. Viele davon sind an einer vollen Teilhabe an der Gesellschaft und Arbeitswelt gehindert. Für Menschen mit Behinderung liegt die Armutsquote mit 70% über den Durchschnitt. Vielen Angehörigen sind die Gründe für die Armutsquote von 70% über den Durchschnitt bewusst, weil Sie selber unter den finanziellen Folgen mitzuleiden haben. Zu nennen ist neben den durch die Erkrankung ausgelösten unmittelbaren materiellen Schäden aber auch über keine Berufsausbildung zu verfügen, den Krankenversicherungsschutz zu verlieren, wenn man sich nicht krankheitsbedingt darum kümmern kann, aber auch unter dem eingeschränkte Zugang zur Arbeitswelt und letztlich der Stigmatisierung der betroffenen Familien von Menschen mit einer psychischen Erkrankungen durch die Gesellschaft. Es stellet sich die Frage, wie das Recht auf Leben in der Gesellschaft und das Recht auf Freiheit und der Verzicht auf unmenschliche und erniedrigende Behandlung umgesetzt werden kann, wenn Betroffene und Angehörige, stigmatisiert werden. Die EU müsste darüber aufklären, wie Sie bei der Bekämpfung der Armut von psychisch erkrankten Menschen helfen und einen Beitrag zur Enttabuisierung psychischer Erkrankung leisten kann.
Wie Sie sehen, zeigen die kurz angerissenen Problemfelder die Wichtigkeit mit Bundesselbsthilfeorganisationen wie dem BApK auf EU-Ebene politisch mitdiskutieren und an den Entscheidungen teilhaben zu lassen. Es wäre wünschenswert, wenn eine Absprache zwischen BApK und EU erfolgen könnte und der BApK die Möglichkeiten erhält sich auf europäischer Ebene zu positionieren.
Prävention/ Migration
Prävention und Gesundheitsförderung werden in einer Gesellschaft mit steigendem Lebensalter sowie multimorbiden und chronischen Erkrankungen immer wichtiger, damit Krankheiten erst gar nicht entstehen oder möglichst kurz verlaufen. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen, die mittlerweile zu den häufigsten Erkrankungen in der Gesellschaft zählen, muss präventiv vorgebeugt werden. Dabei sind gesetzliche Regelungen von Vorteil, nach denen Präventionsangebote – auch von der Selbsthilfe - finanziell vom Staat dauerhaft gefördert werden müssen.
Durch den enormen Zuwachs an diagnostizierten psychischen Erkrankungen erhöht sich die Nachfrage nach seriösen und niedrigschwelligen Informationen, nach Unterstützung und Hilfe seitens der betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen. Eine kompetente Beratung entlastet Betroffene und Angehörige und kann einer Verschlimmerung und Eskalation im Vorfeld präventiv entgegenwirken. Es können frühzeitig Weichen gestellt werden, um eine zeitnahe und angemessene ambulante oder klinische Behandlung zu sichern.
In diesem Zusammenhang hat der BApK das „Beratungstelefon Seelische Gesundheit – Selbsthilfeberatung und Beratung im Internet (SeeleFon)“ ins Leben gerufen. Es leistet einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines qualifizierten Beratungssystems und ist über die Jahre zu einer tragenden Säule in der Versorgungslandschaft der Selbsthilfe geworden. Der Informations- und Beratungsbedarf ist ebenso enorm wie die Vielfalt der angesprochenen Themen. Im Ehrenamt stehende Angehörige, Betroffene, aber auch professionelle Helfer suchen Antworten auf die Fragen der Anrufenden und benötigen bei ihrem Engagement Unterstützung. Dabei geht es um Krankheitsbilder, Diagnosen, den Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen, Fragen zu Therapien und der Versorgungslandschaft. Manchmal steht aber auch der Wunsch im Vordergrund, in einem geschützten Rahmen über sehr persönliche Dinge zu sprechen.
Schon bald hat sich das „SeeleFon“ als Erfolg erwiesen. Das Beratungsangebot wird von einer so großen Zahl von Menschen in Anspruch genommen, dass sich der BApK entschlossen hat, das „SeeleFon“ nach Ablauf der Förderung eigenständig zu finanzieren. Jährlich nimmt das Beratungsteam über 2500 Anrufe entgegen. Hinzu kommt die E-Mail-Beratung mit zirka 5000 Anfragen – Tendenz steigend.
Als im Jahr 2015/2016 die massenhafte Flüchtlingsbewegung nach Europa stattgefunden hat, wurde mit Hilfe des BKK Dachverbandes und des BKK Landesverbandes Nordwest im Jahr 2016 das „SeeleFon“ durch das Projekt „Entwicklung eines Unterstützungsangebots für traumatisierte Flüchtlinge (SeeleFon für Flüchtlinge)“ erweitert. Es verfolgt das Ziel, Flüchtlingen mit psychischen Problemen bundesweit mit einem Erste-Hilfe-Angebot zu unterstützen. Seit September 2016 ist das „SeeleFon für Flüchtlinge“ aktiv. Die Beratung wird in den Sprachen Arabisch, Englisch, Französisch und Deutsch angeboten. Das „SeeleFon für Flüchtlinge“ ist von montags bis mittwochs in der Zeit von zehn bis 12 Uhr und von 14 bis 15 Uhr unter der Rufnummer 0228/71002425 erreichbar. Zusätzlich finden Hilfesuchende auf der Seite des BApK in vier Sprachen Informationen zu Hilfeangeboten, Krankheiten und vielem mehr.
Um der Gesellschaft und jedem einzelnen Bürger sowie Migranten und Flüchtlingen weiterhin niederschwellige sowie spezifische zielgruppenorientiere Präventionsangebote anbieten zu können, ist es auch hier erforderlich, dass die Bundesregierung solche essentiellen Angebote finanziell unterstützt. Die Selbsthilfe wird mittlerweile als die vierte stützende Säule des Gesundheitssystems benannt. Der BApK fordert daher eine Gleichstellung der Selbsthilfe mit den anderen Systemen und die finanzielle die Kostenübernahme für die genannten Projekte, damit eine wesentliche Voraussetzung erfolgreicher Prävention entstehen kann.
Kinder von psychisch kranken Eltern
Schätzungsweise wachsen ca. 2- 3 Millionen Kinder bei einem psychisch erkrankten Elternteil in Deutschland auf. Die Erkrankung eines Elternteils stellt eine erhebliche Belastung und ein erhöhtes Risiko für die psychische Entwicklung des Kindes dar; insbesondere dann, wenn die Erkrankung innerhalb der Familie und im Freundeskreis tabuisiert wird und keine kindgerechte Aufklärung bzgl. der psychischen Erkrankung stattfindet sowie keine Unterstützung hinzugezogen werden kann. Um Kindern in dieser schweren Situation zu helfen, ist es unabdingbar, dass Kinder genügend Rückhalt sowohl von der Familie, Freundeskreis, Schule (Lehrpersonal, Schulpsychologe) oder auch den Erziehern (Kindergarten) erhalten. Sie benötigen Vertrauenspersonen, die bereit sind, das Kind altersgerecht aufzuklären und ihm gezielte Hilfemöglichkeiten anzubieten, damit bei dem Kind weder Schuldgefühle noch Desorientierung ausgelöst werden. Auch die Rolle des Kindes innerhalb der Familie sollte Beachtung finden. Oftmals müssen Kinder zu Hause die Erwachsenenrolle übernehmen, wodurch Ihnen ein Stück ihrer Kindheit geraubt wird. Auch die Thematiken „Mobbing“ und Leistungsabfall in der Schule können zu einer sozialen Isolierung und Ausgrenzung des Kindes führen. Es stellen sich folgende Fragen: An welchen Stellen intervenieren wir üblicherweise und wo sollte der eigentliche Ansatz der Intervention liegen? Welche Probleme werden von den Kindern psychisch kranker Eltern genannt? Was wissen Kinder über das Krankheitsbild der Eltern und welche Informationen werden von den Kindern benötigt? Welche Herausforderungen sind bei dem Thema Kinder von psychisch erkrankten Menschen zu beachten?
Der BApK fordert:
1. Sensibilisierung/ Aufklärung/ Weiterbildung von Fachkräften:
Ärzte, insbesondere Hausärzte und Kinderärzte, sollten sich zu dem Themenfeld „Kinder von psychisch erkrankten Eltern“ in Form von Weiterbildungen und Fachveranstaltungen informieren, um bei Bedarf auf Probleme im Familiensystem des Patienten aufmerksam werden zu können. Ärzte sollten über die Lage von Kindern psychisch kranker Eltern informiert sein, um spezielle Unterstützungsstrukturen wie z.B. die Selbsthilfe, Jugendamt etc. zu vermitteln. Insbesondere bei Ärzten und Pflegern stellt sich die Frage, ob nicht schon in der Curricularen Lehre über das Thema „Psychische Erkrankung und die Sichtweise von Angehörigen“ doziert werden sollte. Dies hätte den Vorteil, dass der Fokus nicht nur auf den Patienten gerichtet wird, sondern auch auf das komplexe System der Familie. Eine Sensibilisierung der „Mediziner“ und „Pfleger“ zu dem Thema „Angehörige von psychisch erkrankten Menschen“ sollte bereits in der „Ausbildung“ stattfinden, wodurch sich der spätere berufliche Praxisbezug zu den Angehörigen positiv verändern würde. Die Einrichtung von Lehrstühlen an Hochschulen zu der Thematik „Angehörige von psychisch erkrankten Menschen“ wird ausdrücklich begrüßt.
Auch Pädagogen (Lehrer/ Erzieher/ Schulsozialarbeiter, Sozialpädagogen) müssen über das Thema „Psychische Erkrankungen“ aufgeklärt, sensibilisiert und informiert werden. Auch hier empfehlen sich wie unter Punkt 1 der Einbezug in die Lehre sowie Fort- und Weiterbildungen. Erstrebenswert ist zudem die Integration des Themas „Psychische Erkrankung“ in den Lehrplan mit dem Ziel der Aufklärung über und Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen.
2. (Staatliche) Regelfinanzierung der Selbsthilfeverbände:
Eine weitere Herausforderung ist es, niederschwellige Präventionsangebote in allen Landesverbänden der Selbsthilfe auf dem Gebiet der Psychiatrie und in den Kommunen zu schaffen, die regelfinanziert werden. Das beinhaltet auch, dass Selbsthilfeverbände auf Bundes- und Landesebene genügend finanzielle Absicherungen erhalten, um ihre Angebote weiterhin aufrecht erhalten zu können.
3. Vernetzung von Akteuren:
Es sollten Netzwerke geschaffen werden, um sich gemeinsam über Strategien oder auch Forschungsprojekte beraten zu lassen wie z.B. die Lage von Kindern psychisch erkrankter Eltern zu verbessern. Dabei geht es um Schnittstellenoptimierung wie z.B. von Bundes- und Landesministerien, Hochschulen und Selbsthilfeverbänden. Es sollten Gespräche in Augenhöhe stattfinden, d.h. von Profi zu Profi. Zudem sollten alle Akteure finanzielle Zuwendungen erhalten. Weitere Punkte sind unter andere
- Beratung von Kommunen zum Aufbau von zielgruppenspezifischen Angeboten(dient der Vernetzung, Bedarfsermittlung)
- Es müssen Kliniken, Ärzte, Beratungsstellen und Selbsthilfe gemeinsam einbezogen werden. Selbsthilfe stellt die vierte Säule des Gesundheitssystems dar und sollte auch von Profis anerkannt sein. Die Selbsthilfe ist ein Partner auf Augenhöhe.
4. Öffentlichkeitsarbeit/ Aufklärungsmaßnahmen:
Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema „Psychische Erkrankung“ ist essentiell, um einen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten zu können. Dabei muss unter anderem das Thema „Kinder von psychisch kranken Eltern“ Gehör in der Gesellschaft finden. Es geht um
a) Abbau von Stigmatisierung (durch Videofilme, Werbeplakate etc.)
b) Informationen zu niederschwelligen Beratungsangeboten
c) Aufklärung bei Profis (Ärzte, Kliniken) aber auch Pädagogen, die Kindern von psychisch kranken Eltern erste Hilfemöglichkeiten bzw. Kontaktstellen auch zur Selbsthilfe geben können (dies beinhaltet auch, dass Informationsmaterialien von Bundes- oder Landesverbänden/ Selbsthilfegruppen in den Kliniken und Schulen gut ersichtlich in Prospektständern ausliegen).
d) Kinder von psychisch kranken Eltern müssen explizit angesprochen werden mit Hilfe von Informationsmaterialien, die die psychische Erkrankung altersgemäß erläutern.
e) Ein weiteres wichtiges Ziel stellt dabei die Präventionsarbeit bzw. Präventionsförderung dar.
5. Forschung:
Auch die Forschung sollte sich stärker dem Thema „Kinder von psychisch kranken Eltern“ widmen. Dabei geht es um die Bedarfe, die Situation und mögliche Schutzfaktoren für Kinder psychisch kranker Eltern. Auch genaue Kennzahlen bezgl. „wie viele Kinder leben mit einem Elternteil, der psychisch erkrankt ist“ sollten evaluiert erden. Bisher ist die Forschung immer wieder auf Schätzungen angewiesen.
Startschuss für die Gründung zweier neuer deutscher Zentren für Gesundheitsforschung hier: Pressemitteilung des BMBF vom 06.09.2018 Nr. 078/2018
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Frau Bundesministerin Anja Karliczek
53175 Bonn
Sehr geehrte Frau Ministerin,
mit Interesse hat der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK e.V.) von der Absicht Ihres Ministeriums erfahren, die Forschung im Bereich der Psychischen Gesundheit zu fördern. Damit wird dieser wichtige Bereich der staatlichen Daseinsfürsorge der Forschung im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus und Infektionskrankheiten gleichgestellt.
Mit unserer Zustimmung zu diesem Vorhaben verbinden wir die Erwartung, dass in Verbindung mit der Forschungsförderung im Bereich der psychischen Gesundheit auch den besonderen Gegebenheiten auf diesem Feld Rechnung getragen wird.
Aus der Sicht der von einer psychischen Erkrankung Betroffenen und ihrer Angehörigen sind wesentliche nichtmedizinische Fragestellungen eng und untrennbar mit Problemen der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen verbunden. Die wichtigsten Problemfelder betreffen die Gefahr der Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung sowohl der Betroffenen selbst, als auch mittelbar ihrer Familien, die Gefahr der Verletzung persönlicher Freiheit und weiterer Grundrechte infolge struktureller und organisatorischer Mängel der Versorgungsinstitutionen, mangelhafter Schutz vor Misshandlung und Gewalt, die mangelhafte Umsetzung bereits jetzt in wissenschaftlich valider Qualität vorliegender Erkenntnisse in allen Bereichen der Psychiatrie (z.B. Verfügbarkeit von qualifizierten Krisenhilfen, Verknüpfung von Selbsthilfe und professioneller Hilfe, Vorrang für ambulante Hilfen, Integrierte Versorgung, Sicherstellung sektorenübergreifender Versorgung etc.).
Bereits diese kurze Aufzählung mag Ihnen unser Anliegen verdeutlichen, als institutioneller Partner der Forschungsförderung bereits in diesem frühen Stadium beteiligt zu werden.
Der BApK wurde 1985 als gemeinnütziger Verband mit Sitz in Bonn gegründet. Sein Ziel ist die Anerkennung und der Schutz der Rechte und Interessen von Familien mit einem an einer schweren psychischen Störung erkrankten Mitglied. Als Dachorganisation der Landesverbände von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in allen Bundesländern unterstützt der BApK die Familienselbsthilfe und tritt für Gleichberechtigung und Teilhabe auch der psychisch erkrankten Menschen und ihrer Familien ein.
Die Entstehung einer organisierten Angehörigenbewegung war die notwendige Konsequenz aus dem bis in die 1970er Jahre andauernden Versagen des Staates, der Wohlfahrtsträger, der Ärzteschaft und auch der medizinischen Wissenschaft, die Folgen und Nachwirkungen der NS-Verbrechen in der Psychiatrie zu überwinden und eine sowohl fachlichen Erkenntnissen, als auch humanen, rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen genügende Versorgung psychisch erkrankter Menschen an deren Stelle zu setzen. Der von der Bundesregierung initiierte und koordinierte Reformprozess in der Psychiatrie wurde von organisierten Angehörigen von Anfang an begrüßt und aktiv mitgetragen.
In diesem Zusammenhang ist die institutionalisierte Beteiligung der Angehörigen wie auch der Betroffenen selbst an allen wesentlichen fachlichen Entscheidungsprozessen – ein Dialog dreier Parteien (Betroffene, Angehörige, Fachleute) mit unterschiedlicher Zuständigkeit und gemeinsamer Verantwortung auf Augenhöhe unter der Bezeichnung „Trialog“ - ein wesentliches Qualitätsmerkmal sowohl der psychiatrischen Praxis als auch der wissenschaftlichen Erforschung von Krankheitsursachen und Hilfemöglichkeiten geworden. Die positiven Auswirkungen trialogischer Vorgehensweisen hat das Bundesgesundheitsministerium kürzlich evaluiert: „Das Verhältnis von Angehörigen und Professionellen – Vereinbarung zwischen Kliniken und Angehörigen(-verbänden/ vereinen) zur Regelung der vertraglichen Qualitätssicherung in der Psychiatrie“ (2016/2017), siehe hierzu: https://www.bapk.de/projekte/aktuelle-projekte/qualitaetsmanagement-vereinbarung-von-leitlinien.html.
Diese Erfahrungen bestärken uns in unserer Forderung nach einer qualifizierten Beteiligung der Vertreter der Betroffenen und der Angehörigen an der fachlich-inhaltlichen Ausrichtung der Forschungsprogramme, der Auswahl der zu fördernden Projekte und Studien sowie der Bewertung ihrer Ergebnisse. Dazu sollten geeignete Gremien gebildet und Verfahrensweisen verabredet werden. Konkrete Vorstellungen dazu würden wir Ihnen gerne im persönlichen Gespräch mit Mitgliedern unseres Vorstandes darlegen.
Mit freundlichen Grüßen
Gudrun Schliebener
Vorsitzende
Aufsuchende Angebote im Lebensumfeld durch ambulante Leistungserbringer reduzieren stationäre Behandlungen und erhöhen die Lebensqualität von psychisch erkrankten Menschen und ihren Angehörigen. Das neue Angebot der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) erlaubt es nun auch allen Krankenhäusern mit Pflichtversorgung, Behandlung im Lebensumfeld anzubieten. Für den effektiven Einsatz der neuen Möglichkeiten haben die unterzeichnenden Fachgesellschaften und Verbände Prinzipien einer strukturierten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit konsentiert. Dabei steht der betroffene Mensch mit seinem individuellen Behandlungsbedarf und seinem familiären und sozialen Umfeld im Mittelpunkt.
Hintergrund
Internationale Studien belegen, dass Behandlungsformen im Lebensumfeld, wie Home Treatment oder ACT-Teams stationäre Behandlungen und Behandlungszeiten wirksam reduzieren und die Behandlungsbereitschaft und damit die Zufriedenheit bei Patienten und Angehörigen erhöhen können. Zugleich sollte Sorge dafür getragen werden, dass die häusliche Belastung auch der Angehörigen nicht noch weiter anwächst. Auch die S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ gibt eine klare Empfehlung für eine gemeindepsychiatrisch teambasierte, multiprofessionelle ambulante Behandlung ab. Neben der Unterstützung durch die Familie bieten im deutschen Versorgungssystem ambulante Leistungserbringer seit Langem mit hohem Engagement und hoher Professionalität aufsuchende Angebote im Lebensumfeld an. Daran beteiligen sich Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie, Fachärzte für Nervenheilkunde, Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie, ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, ambulante psychiatrische Pflege, Ergotherapeuten, ambulante Soziotherapie, Anbieter der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste sowie Experten aus Erfahrung (EX-IN).
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) hat der Gesetzgeber mit dem § 115d SGB V psychiatrischen Krankenhäusern mit regionaler Versorgungsverpflichtung sowie Allgemeinkrankenhäusern mit selbstständigen, fachärztlich geleiteten psychiatrischen Abteilungen mit regionaler Versorgungsverpflichtung eingeräumt, an Stelle der vollstationären Behandlung die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB) im Lebensumfeld erbringen zu können. Insbesondere wenn es der Behandlungskontinuität dient oder aus Gründen der Wohnortnähe sachgerecht ist, können ambulante Leistungserbringer mit der Durchführung von Teilen der Behandlung beauftragt werden.
Die Möglichkeit der Erbringung stationsäquivalenter Leistungen im Lebensumfeld des Patienten stellt eine Ergänzung der aktuell bestehenden Versorgung von 3 Menschen mit psychischen Erkrankungen dar. Dabei ist diese Leistung wie die stationäre Behandlung durch einen definierten Beginn und ein definiertes Ende gekennzeichnet. Die Bedingungen der Behandlung im Lebensumfeld, der Behandlungsteams, der Umfang der Patientenkontakte und die Anforderung an die Beauftragung von ambulanten Leistungserbringern sind in einer Vereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband, dem Verband der privaten Krankenversicherungen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft festgelegt (§ 10).
In vielen Regionen besteht bereits eine gemeindepsychiatrische Kultur der vernetzten Kooperation aller Leistungserbringer, die es ermöglicht, insbesondere Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und ihren Angehörigen eine wirksame lebensweltorientierte Behandlung und Unterstützung in ihrem gewohnten Lebensumfeld anzubieten. Im Interesse der Hilfesuchenden sollen dabei Doppelstrukturen und Aufspaltungen des Versorgungssystems so weit wie möglich vermieden bzw. abgebaut werden. Zudem ist es möglich bereits bestehende Leistungen von anderen Leistungserbringern in die stationsäquivalente Behandlung einzubinden. Bei der Implementierung der neuen Leistung StäB sollte deshalb die Integration dieses neuen Behandlungsangebots in die bereits bestehende psychiatrisch-psychosoziale Versorgungsstruktur unbedingt berücksichtigt werden.
Ziel dies es Eckpunktepapiers ist es – bei aller Diskussion über die Einführung eines neuen Behandlungselements und die mit den Krankenkassen zu verhandelnde Finanzierung – die eröffnete Chance zu einem solchen Schritt zu nutzen. Um eine gemeinsame Grundlage zur Verständigung jenseits von Leistungsanbietern und Berufsgruppen, über die Grenzen der Sektoren und Versorgungsbereiche hinweg zu ermöglichen, wird vom Bedarf der Patienten ausgegangen. An Stelle einer strukturellen tritt dadurch eine funktionale Beschreibung, die offen lässt, wie die Aufgaben regional bei sehr unterschiedlichen Versorgungsangeboten umgesetzt werden können.
Funktionale Beschreibung der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB)
Die unterzeichnenden Verbände und Fachgesellschaften haben ausgehend vom Bedarf der Patienten und angelehnt an das Funktionale Basismodell von Steinhart und Wienberg, die verschiedenen Funktionen in Behandlung und Betreuung definiert. Ein entscheidender Vorteil dieses Modells ist die Orientierung an Funktionen ohne die explizite Festlegung, welche Berufsgruppe oder welcher Sektor diese übernehmen können. Die Versorgungsplanung nach diesem Modell wird konsequent aus Sicht des Betroffenen im Kontext seines sozialen Umfelds gedacht. Damit können regionale Versorgungsunterschiede bei den Überlegungen zunächst vernachlässigt werden. Der funktionsbezogene Ansatz ist zudem auch für Angehörige und Betroffene attraktiver, da institutionszentrierte Aspekte für sie nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Stationsäquivalente Behandlung kann gut in die funktionale Beschreibung des Versorgungssystems als weitere Funktion eingefügt werden. Da sie aber eine andere Form derakuten Krankenhausbehandlung nach SGB V beschreibt sind hier andere Schwerpunkte zu setzen, als in der längerfristigen begleitenden Behandlung von Menschen mit schweren psychischen Störungen. Von der Feststellung einer akuten psychischen Störung bis zur Entlassung ist in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum eine Vielzahl von Interventionen in hoher Intensität erforderlich.
Eine funktionale Beschreibung des zeitlichen Ablaufs einer stationsäquivalenten Behandlungermöglicht auch die Einbeziehung von ambulanten Leistungserbringern. Dazu wurden Funktionen aus dem Basismodell durch weitere ergänzt.
- 1. Aufnahmemanagement
- Die Initiative zur Klärung der Inanspruchnahme von StäB erfolgt durch den Betroffenen selbst oder das private und/oder (so vorhanden) professionelle Umfeld des Betroffenen (z. B. Angehörige und Freunde, Arzt, Psychotherapeut, Betreuer).
- Einer Indikation zur stationsäquivalenten Behandlung liegen die gleichen Kriterien zu Grunde, die auch für die Indikation einer vollstationären Behandlung gelten (Kriterien nach Gouzoulis-Mayfrank, Längle, Koch-Stoecker 2016).
- Die Einweisung mit Empfehlung zu StäB wird durch einen Facharzt oder Psychologischen Psychotherapeuten aus dem Vertragsärztebereich oder aus der Klinik gestellt. Die Indikation für die stationsäquivalente Behandlung wird durch einen Facharzt aus der Klinik gestellt.
- Die Prüfung alternativer Behandlungsoptionen ist Teil der Indikationsprüfung und sollte immer unter Beteiligung bereits vorhandener ambulanter Ressourcen (z. B. Facharzt/Psychologischer Psychotherapeut, psychosoziale Dienste) erfolgen.Das Aufnahmemanagement erfolgt ortsungebunden durch Mitglieder des StäB-Teams (z. B. in der Wohnung des Betroffenen).
- Im Rahmen des Aufnahmemanagements muss stets geklärt werden, ob die Wohn- und Lebenssituation (z. B. in stationären Wohneinrichtungen, bei Obdachlosigkeit) des Betroffenen für eine StäB geeignet ist und ob mit ihm lebende Angehörige und andere mit ihm lebende Menschen mit einer solchen einverstanden sind.
- Alternative Behandlungsräume, z. B. Krisenwohnungen, können eine StäB auch bei Ablehnung durch die mit dem Betroffenen wohnenden Angehörigen oder einer problematischen Wohnsituation des Betroffenen möglich machen.
- Berücksichtigung des Umfelds
- Der ressourcenorientierte Einbezug der Familie und des weiteren sozialen Umfelds (z. B. Offener Dialog oder andere systemische Ansätze) sollte ein Kernelement der StäB darstellen.
- Kinder und Angehörige, die mit dem Betroffenen zusammenwohnen, bedürfen einer gesonderten Einschätzung und Berücksichtigung des Unterstützungs-/Hilfebedarfs.
- Angehörige und/oder Freunde sind regelhaft in den therapeutischen Prozess einzubeziehen.
- Stabilisierungs- bzw. Belastungsfaktoren durch das soziale, familiäre Umfeld sind zu berücksichtigen.
- Diagnostik
- Die klinisch-psychiatrische, psychotherapeutische und somatische Diagnostik erfolgt soweit wie möglich im Lebensumfeld und unter Einbezug der Ressourcen des Krankenhauses (Bildgebung, Labordiagnostik, Elektrophysiologie, Neuropsychologie u. a.).
- Ein somatisches Monitoring und ggf. eine Behandlung müssen sichergestellt werden.
- Zur Verlaufsbeurteilung sollten möglichst auch psychometrische Testungen zum Einsatz kommen, die im stationären Setting erfolgt sind.
- Das psychosoziale Assessment umfasst zunächst die Alltagsdiagnostik im Sinne der Funktionsbereiche des täglichen Lebens: Wohnen, Arbeit, Freizeit, Behandlung. Vorhandene Assessments, z. B. bei Klienten, die sich bereits in einer Maßnahme zur sozialen Teilhabe befinden, sollen berücksichtigt werden.
- Therapie
- Die gemeinsame Definition von Behandlungszielen liegt neben diagnostischen Erkenntnissen der Behandlungsplanung und Informationen vom Betroffenen und aus seinem Umfeld einer bedürfnisorientierten Therapie zu Grunde.
- Die spezifische Behandlung erfolgt ressourcen- und defizitorientiert durch die Berufsgruppen, die in der OPS für die StäB beschrieben sind.
- Die Therapie findet in enger Abstimmung zu anderen Behandlungs-, Pflege-, Rehabilitations- und Teilhabeleistungen statt.
- Wichtige Elemente einer StäB sind die Stabilisierung des Patienten in seinem Lebensumfeld sowie die Förderung der Selbstversorgungs- und Arbeitsfähigkeit und der Teilhabe in der Gesellschaft.
- Krisen, die in einer StäB auftreten, sollten durch eine Intensivierung der StäB aufgefangen werden. Bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung kann eine vollstationäre Aufnahme notwendig werden, möglichst unter Beibehaltung der Behandlungskontinuität des StäB-Teams.
- Planung und Vorbereitung weiterführender Behandlungs-, Rehabilitations- und Teilhabeleistungen
- Im Sinne einer modernen Rehabilitation ist, vom psychosozialen Assessment ausgehend eine frühzeitige Rehabilitations- und Teilhabeplanung wichtig für eine möglichst nahtlose Ein- oder Weiterführung bedarfsgerechter Hilfen oder Angebote der Rehabilitation.
- Zentraler Bestandteil einer solchen Planung sollte eine Konferenz unter Beteiligung aller Versorger sein, die schon in die Behandlung und Betreuung eingebunden sind bzw. eingebunden werden sollen.
- Betroffenen und Angehörigen bzw. Freunden sollte regelhaft die Teilnahme an der Planung ermöglicht werden, sofern dies vom Betroffenen gewünscht ist.
- Die Entlassplanung sollte wie bei der vollstationären Behandlung gestaffelt erfolgen, mit der Aufnahme beginnen und über den Verlauf angepasst werden.
- Bei eingetretener Stabilisierung ist eine Entlasskonferenz zur Überleitung in Anschlusstherapien/-hilfen indiziert, um einen möglichst direkten und verbindlichen Übergang in diese zu errreichen.
Zusammenfassung
Stationsäquivalente Behandlung ermöglicht nun auch Kliniken die Behandlung von Menschen mit akuten psychischen Störungen in ihrem Lebensumfeld und kann damit einen wichtigen Bausteinauf dem Weg zur Versorgungsoptimierung darstellen. Dabei haben die unterzeichnenden Verbände Kriterien erarbeitet, welche eine bedarfsgerechte Versorgung des Patienten unabhängig vom Sektor beschreiben, in dem diese Leistung erbracht wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten:
- Die Wirksamkeit von Behandlungsformen im Lebensumfeld ist international ausreichend belegt. Stationäre Behandlungszeiten können damit reduziert und Behandlungsbereitschaft und Patientenzufriedenheit erhöht werden.
- Kliniken haben nun die Möglichkeit, anstelle der vollstationären Behandlung die stationsäquivalente Behandlung im Lebensumfeld zu erbringen.
- Bisher erschwerten Schwellen zwischen den Sektoren eine nahtlose Weiterbehandlung eines Patienten bei Änderung des Behandlungssettings.
- Erfolgt bei der Umsetzung von StäB eine Orientierung ausschließlich am Behandlungsbedarf des Patienten (Funktionen), können Versorgungsstrukturen sowohl aus dem stationären als auch aus dem ambulanten Sektor zum Einsatz kommen.
- Diese Funktionen werden anhand der Bereiche „Aufnahmemanagement“, „Berücksichtigung des Umfelds“, „Diagnostik“, „Therapie“ sowie „Planung und Vorbereitung weiterführender Behandlungs-, Rehabilitations- und Teilhabeleistungen“ beschrieben.
- Die Möglichkeiten aufsuchender Behandlung und Betreuung im Lebensumfeld in Kooperation mit den verschiedenen Sektoren müssen so definiert sein, dass durch StäB keine Doppelstrukturen entstehen, sondern die neuen Möglichkeiten effektiv genutzt werden können.
- Darüber hinaus gilt es die StäB weiterzuentwickeln, so dass bei der Planung und Steuerung der Einbezug aller an der Versorgung Beteiligten gewährleistet ist.
Quellen
- DGPPN – Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (Hrsg.) (2013) S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. Berlin: Springer
- Steinhart I, Wienberg G (Hrsg.) (2016) Rundum ambulant – Funktionales Basismodell psychiatrischer Versorgung in der Gemeinde. Köln: Psychiatrie Verlag
- Gouzoulis-Mayfrank E, Koch-Stoecker S, Längle G (2016) Kriterien stationärer psychiatrischer Behandlung. Leitfaden für die klinische Praxis. Stuttgart: Kohlhammer
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