Interview
Der Jurist Meesmann war aus eigener Betroffenheit ein langjähriger Wegbegleiter der „Initiative Forensik“. In einem Interview äußert er sich zu der schwierigen Situation der Angehörigen und dem oftmals anstrengenden Umgang mit dem Maßregelvollzug.
BApK: Wie würden Sie, Herr Dr. Meesmann, die Situation der Angehörigen im Maßregelvollzug beschreiben?
Dr. Meesmann: Kurz gesagt: Sie sind überfordert und werden in ihrer Not allein gelassen! Die Angehörigen stehen der Institution Maßregelvollzug hilflos gegenüber, werden von den Profis allenfalls in der Anamnese wahrgenommen, doch mit ihren Belastungen und Sorgen stehen sie allzu oft allein. Diese Erfahrung, aber auch das Bedürfnis nach Informationen und Erfahrungsaustausch führte einige Angehörige zur „Initiative Forensik“ zusammen.
BApK: Welche Sicht haben denn Angehörige psychisch erkrankter Menschen, die forensisch begleitet werden, auf eine Maßregelvollzugsklinik?
Dr. Meesmann: Die erste Begegnung mit der forensischen Klinik trifft sie wie ein Schock. Sie erwarten eine Klinik und stehen vor einem Hochsicherheitstrakt. Die baulichen Gegebenheiten (natodrahtbewehrte Mauern, Sicherheitsschleuse) und sonstigen Sicherungsmaßnahmen (Abgabe von Ausweis und Handy, Taschen- und u. U. auch Personenkontrolle) verunsichern und schüchtern den Besucher ein. Der Maßregelvollzug bleibt für die Angehörigen eine „black box“.
Sie erfahren nicht, was hinter der Mauer mit den Patienten geschieht, welche Zuständigkeiten innerhalb der Einrichtung und zwischen Justiz und Klinik bestehen. Das alles führt, verbunden mit der unbefristeten Dauer der Unterbringung (§ 63 StGB) zu dem Eindruck: „Schlimmer als Gefängnis“!
BApK: Wie haben Sie als Angehöriger denn die professionell Tätigen in der Maßregelvollzugsklinik erlebt?
Dr. Meesmann: Aus eigenem Erleben in zwei Kliniken und den Erfahrungen anderer Angehöriger möchte ich vor Verallgemeinerungen warnen: Es gibt hier wie überall, wo Menschen zusammentreffen, „solche und solche“! Was sich aber durch alle Erfahrungen wie ein roter Faden zieht, sind wechselseitige Hemm-schwellen, die einem offenen, unbefangenen Umgang zwischen Angehörigen und Mitarbeitern der Klinik entgegenstehen.
Die Mitarbeiter stehen unter Zeitdruck, befürchten rechtliche Risiken (Schweigepflicht), haben mit Angehörigen schlechte Erfahrungen gemacht. Die Angehörigen sind durch Scham- und Schuldgefühle gehemmt, durch die bedrückenden Gegebenheiten einer forensischen Klinik oder das Verhalten der Mitarbeiter verunsichert.
Es bedarf mehr wechselseitiges Verständnis, um diese Hemmnisse zu überwinden, dies wiederum mehr Wissen voneinander und den Versuch, sich in die Lage des anderen zu versetzen, voraussetzt.
BApK: Was glauben Sie, können psychiatrische Profis tun, um das Verhältnis zu den Angehörigen zu verbessern?
Dr. Meesmann: Ganz entscheidend für das Verhältnis ist es, wie die Mitarbeiter den Angehörigen beim ersten Kontakt bzw. Besuch begegnen. Für Angehörige ist es wichtig, dass ihnen das Gefühl vermittelt wird, willkommen (und nicht lästig) zu sein.
Dazu gehört das Bewusstsein, in welcher schwierigen emotionalen Ausnahmesituation sich die Angehörigen befinden, denen man selbst als Profi in seiner Alltagswelt und Routine begegnet. Es muss Bestandteil des Leitbilds der Einrichtung werden. Es müssen Standards für den Umgang mit Angehörigen entwickelt werden.
BApK: Welche Aufgaben hat sich die „Initiative Forensik“ im BApK gestellt?
Dr. Meesmann: Primäre Zielsetzung der Initiative ist es, Informations- und Gesprächsangebote für Angehörige zu schaffen sowie Ansprechpartner und Treffen für Angehörige an Kliniken zu organisieren. Damit verbunden ist der Wunsch nach Kooperation mit den Kliniken, zum einen, um gemeinsam Angebote für Angehörige zu schaffen und ihnen nahe zu bringen, zum anderen, um die Angehörigenarbeit zum Thema in Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter zu machen.
Auch in der Angehörigenbewegung gilt es, für Angehörige von Forensik-Patienten mehr Verständnis und Unterstützung zu wecken bzw. zu bieten. Denn, ob wir es wollen oder nicht, die Forensik prägt das Bild der Psychiatrie in der Gesellschaft. Kein Angehöriger kann sicher sein, nicht auch eines Tages mit dem Maßregelvollzug zu tun zu bekommen.
Im Rahmen des BApK haben wir daher einen Beauftragten für den Maßregelvollzug. Die Landesverbände haben Ansprechpartner für Fragen des MRV benannt. Dies sind alles Maßnahmen, die zu einem vorurteilsfreien Verständnis des Umgangs mit straffällig gewordenen psychisch kranken Menschen beitragen können.
BApK: Herzlichen Dank Herr Dr. Meesmann für das Gespräch.
Den Text von Dr. Meesmann "Was tun, wenn ein psychisch Kranker straffällig wird? Hinweise für Angehörige zum Verfahren zwischen Tat und Urteil" können Sie hier als pdf-Datei herunterladen: [Link]