Vorwort
Seit der Psychiatrieenquete in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich in der Versorgung psychisch kranker Menschen viel verändert. In den Gemeinden und Städten entstand ein vielfältiges Angebot psychosozialer Unterstützung: Das regionale Budget wird neue Versorgungsform, die integrierte Versorgung, das Home-Treatment und sektorenübergreifende Ansätze der Behandlung und Betreuung entstehen. Auch die Entwicklungen hin zum personenzentrierten Ansatz, zu gemeindespsychiatrischen Verbünden mit dem Anspruch, die Versorgungsverantwortung für alle psychisch kranken Menschen in einer Region zu übernehmen und ihre Integration – neuerdings sogar Inklusion – wirksam voran zu treiben, sind zu begrüßen.
Die Rechte der Menschen mit Behinderung sind entscheidend gestärkt worden. So bringt die UN-Behindertenrechtskonvention mit der Betonung der Selbstbestimmungsrechte der Menschen mit Behinderung, die Patientencharta oder die Diskussion um den mündigen Patienten, der auf gleicher Augenhöhe mit dem Profi verhandelt, neue Chancen für den psychisch kranken Menschen. Gleichwohl werden manche dieser Menschen krankheitsbedingt in einer Phase der Erkrankung ihre Selbstbestimmung nicht immer im vollen Umfang ausüben können. Daher haben möglichst frühe, aufsuchende und vertrauensbildende Hilfen aus Sicht der Angehörigen eine hohe Bedeutung.
Trotz dieser positiven Entwicklungen profitieren viele psychisch kranke Menschen und ihre Familien nicht im wünschenswerten Maße. Das Bild von der schönen, neuen Psychiatriewelt trübt sich erheblich bei einem Blick auf den Alltag ein: Auch neue Medikamente haben vielfach nicht tolerierbare Nebenwirkungen und die Eigeninteressen der Anbieter wie auch der Kostenträger, Drehtürpsychiatrie und Behandlungsabbrüche prägen die Praxis der Versorgung bis heute. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ stößt an Grenzen, sobald es im ambulanten Bereich keine flächendeckenden, passgenauen und annehmbaren Hilfen gibt und die Behandlungskontinuität nicht gewährleistet ist.
Deshalb führt der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen mit seinen Landesverbänden die ergriffenen Initiativen fort, um mit Betroffenen-Selbsthilfegruppierungen aus verschiedenen Indikationsbereichen, wie sie im „Selbsthilfenetz Psychiatrie“ kooperieren, den gemeinsamen Forderungskatalog für die psychiatrische und psychosoziale Versorgung psychisch erkrankter Menschen zu erneuern und Unterstützung und Entlastung für die betroffenen Familien weiterhin einzufordern.
Unser Ziel ist es weiterhin, den psychisch erkrankten Menschen und ihren Familien ein - so weit wie möglich - normales Leben zu ermöglichen, Leid und Benachteiligung zu verhindern und Fehlentwicklungen im Versorgungssystem entgegenzuwirken.
Wir danken ausdrücklich allen Aktiven für ihre Arbeit, ihr Engagement und die konstruktive Zusammenarbeit.
DER VORSTAND DES BAPK,
BONN 2017